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H2O

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Titel: H2O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patric Nottret
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Die Tür schloss sich hinter ihr.

27
 
 
 
    Auf dem Weg zum Wagen blickte Sénéchal hinauf zum Fenster im ersten Stock. Hinter den zugezogenen Vorhängen zeichnete sich Längs Silhouette ab. Eine Ecke des Stoffs hob sich. Der junge Student war gewiss erleichtert über seinen Aufbruch.
    Oberleutnant Sankaran, der kerzengerade hinter dem Steuer saß, verkniff sich jeglichen Kommentar, schien jedoch irritiert. Er ließ sofort den Motor an und brauste mit hoher Geschwindigkeit über die schadhafte Straße. Trotz Schlaglöcher, wilden Gehupes und der Scheinwerfer, die immer wieder in der Dunkelheit aufblitzten, schlief Sénéchal ein.
    Als Sankaran ihn wach rüttelte, sah Sénéchal, dass sie vor seinem Hotel angelangt waren. Erschöpft und mit steifen Gliedern erhob er sich, griff nach seinem kleinen Koffer, öffnete die Tür und betrachtete die erleuchteten Wohnhäuser. Da kam ihm ein Gedanke, und er bat den Fahrer, die Scheinwerfer einzuschalten, aber nicht loszufahren.
    Der Oberleutnant blickte ihn erstaunt an, doch er gehorchte.
    Sénéchal stellte sich vor einen der Scheinwerfer und zog den weißen Stein aus seiner Tasche. Er hielt den Kiesel ins Licht, das ihn wie ein Ei durchschien. In der Mitte entdeckte er ein kleines dunkles Gebilde, das er aufmerksam betrachtete, während er den Stein zwischen den Fingern hin und her bewegte.
    Nun war er ganz sicher: Im Innern dieses Gegenstands verbarg sich etwas.
 
    Hinter der großen, zu zwei Dritteln mattierten Schaufensterscheibe erblickte er drei Turbanspitzen, die sich bewegten. Sénéchal hätte das komisch gefunden, hätte nicht direkt neben der Eingangstür ein finster dreinblickender Wächter mit einem furchteinflößenden Gewehr gestanden. Der Umweltinspektor bedachte ihn mit einem bühnenreifen Lächeln und trat ein.
    In einem schmalen Korridor, der durch eine weitere Glasscheibe geschützt war, erblickte er die drei Turban tragenden Männer, die auf Miniatur-Hobelbänken mit Instrumenten hantierten, welche Zahnarztbohrern glichen. Lupen, die auf Gelenkarmen befestigt waren, bündelten das Licht auf ihrem Arbeitsobjekt. Trotz der dicken Scheibe klang das gellende Geräusch unangenehm in Sénéchals Ohren.
    Am Ende des Korridors öffnete sich eine Tür, und ein beleibter Hindu näherte sich dem Inspektor so feierlich wie eine laufende Statue. Er wurde gleichsam erdrückt von seinem riesigen roten Turban, den eine Perle zierte. Die beiden Männer begrüßten sich ausnehmend höflich, und Sénéchal zog den ovalen Kieselstein aus seiner Brusttasche. Der Inder klemmte sich eine Vergrößerungslupe vor das Auge, untersuchte den Stein, wog ihn in der Hand, rieb ihn zwischen seinen Wurstfingern, roch daran, hielt ihn vor das elektrische Licht, wiegte den Kopf unter seinem Turban, kniff die Augen zusammen, sah auf seine Uhr und nannte schließlich mit süßlicher Stimme einen Preis.
    Der Form halber handelte Sénéchal kurz und nahm dann das Angebot an. Er ging erneut an dem Wächter mit dem Gewehr vorbei, fing den glühenden Blick einer verschleierten Frau auf, die seinen Weg wie ein schwarzes Gespenst kreuzte, und bog um die Straßenecke.
 
    Als er zu dem Diamantenladen zurückkam, war der Mann mit dem Gewehr verschwunden. Genau wie die Edelsteinschleifer. Der Gang war leer. Plötzlich öffnete sich die Tür im Hintergrund, und wie aus dem Nichts tauchte Oberleutnant Sankaran auf.
    Mit seinem merkwürdigen Gang schritt er auf den Gast aus dem Westen zu und reichte ihm eine kleine rote Lederschachtel. Auf blauem Satin ruhte das, was als milchiger Kiesel im Müll gefunden worden war. Dank einer feinen Politur war er nun völlig glatt. Glatt und durchsichtig. In der Mitte war ein schwarzer Skarabäus mit langen Beinen und einem glänzenden Panzer für die Ewigkeit eingeschlossen. Zwischen seinen Fühlern befand sich eine winzige Luftblase.
 
    Sénéchal erwachte frisch und munter, traf einige Vorbereitungen und ging dann die Treppe hinunter in die Hotelhalle. Auf einer der letzten Stufen blieb er einen Moment stehen und ließ den Blick durch die Lobby schweifen. Gleich neben einer der dicken Säulen saß Oberleutnant Sankaran in einem weißen Ledersessel. Er betrachtete nachdenklich seine Schuhe und hob jedes Mal den Kopf, wenn sich die Metalltüren von einem der Aufzüge öffneten.
    Ohne Hast stieg Sénéchal die restlichen Stufen hinunter. Er stahl sich hinter eine der Säulen, dann hinter die nächste und umging so den Oberleutnant in seinem Sessel. Nun stand er

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