H2O
zuwandte.
»Sprechen Sie gut Englisch?«
Der Indonesier wirkte so erschrocken wie ein Hase, den die Scheinwerfer eines Autos blenden. Er kniff die Augen zusammen.
»Ich ... ähm ... ja schon.« Er richtete sich auf. »Ich bin Professor.«
»Professor für was?«
»Für Psychologie, in Jakarta.«
»Perfekt. Könnten Sie mir das übersetzen?«
Der Umweltinspektor reichte ihm das Papier mit der merkwürdigen Handschrift. Er gab sich nicht sehr umgänglich.
»Wie? Das soll ich übersetzen? Jetzt sofort?«
»Warum nicht? Hier im Flugzeug gibt es doch nicht viel zu tun. Ich werde Ihnen inzwischen die Zeitung halten ... Hier ist ein Bleistift. Seien Sie so freundlich und schreiben Sie mir hinter die indonesischen Wörter jeweils die englische Übersetzung, Zeile für Zeile. Versuchen Sie, möglichst wörtlich zu bleiben, okay? Falls es Synonyme gibt, schreiben Sie diese bitte dazu. Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.«
Der Ermittler vertiefte sich sogleich in die Zeitung, betrachtete aufmerksam die Fotos und ließ den kleinen Professor wie einen ratlosen Schüler vor dem Text sitzen und an seinem Stift kauen. Wenige Minuten später sagte der Indonesier: »Sir?«
»Hm?«
»Ich bin fertig.«
Sénéchal faltete die Zeitung zusammen und warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »So schnell?«
Der gute Mann lächelte schüchtern.
»Das war einfach ... Ich, ähm, den Inhalt dieses Textes habe ich allerdings nicht verstanden. Das ist ein merkwürdiger Text, Sir, ein sehr merkwürdiger Text.«
Geschätzter Delegierter (durchgestrichen)
Geschätzte Kollegen (durchgestrichen)
Ich weiß nicht, was man mit mir gemacht hat.
Hexerei (durchgestrichen)
Dusung?
Ich bin jetzt allein
Ich werde nichts sagen
Wenn sie ihn schnappen
töten sie ihn und Lang
sie glauben, mich in der Hand zu haben
das Wasser. Angst. Ihre Chimären große Angst all diese
Albträume
Ich muss eine Entscheidung treffen
Ich werde es für meine Familie tun
Dieser Hölle entkommen
Ich muss
Ich bin sehr krank
Ich bin sehr krank
Sénéchal hob ruckartig den Kopf und sah den Professor an.
»Sind Sie sicher, dass Ihre Übersetzung richtig ist?«
Der Indonesier wirkte leicht pikiert.
»Ja, völlig sicher.«
»Auch bei dem Wort ›Chimären‹?«
»Das ist das einzige Wort, das bereits auf Englisch dort steht!«
»Hm. Vielen Dank.«
Der Detektiv zwinkerte seinem Nachbarn zu.
»Oh, diese Dichter. Wo nehmen sie das bloß immer her?«
Der Professor nickte höflich. Dann nahm er seinem imposanten Nachbarn vorsichtig die Zeitung aus der Hand.
Was ist das für ein Text? Wahnvorstellungen? Chimären? Aber was für Chimären? Wer ist dieser Dusung, der im Text genannt wird? Ach ja, das war der Arzt von Mahakam. Sieh einer an ...
Sénéchal nahm einen Stift, schob seine Brille auf die Nasenspitze und begann, die Wörter in anderer Reihenfolge zu ordnen. Aber auch das ergab keinen Sinn ... Warum hatte Mahakam manche Wörter ausgestrichen? War es ein Briefentwurf? Ein Brief an Xi Ping Zhu und seine Kollegen? Ein Hilferuf? Falls es sich um eine verschlüsselte Botschaft handelte, wusste er nicht, wie er sie »zum Sprechen« bringen konnte ... Raul. Raul, der Katalane von der FREDE, das Entschlüsselungsgenie. Vielleicht kann dieser spindeldürre Typ mit dem schwarzen Bart sich den Text mal mit seiner Software vornehmen ... Hm ... Ach nein, Mahakam war verrückt, das ist alles ...
31
Edouardo saß auf einer Caféterrasse am Flughafen von Kuala Lumpur. Mit seinem seltsamen roten Strohhut erinnerte er an einen Giftpilz. Sein Blick war scheinbar auf eine malaiische Tageszeitung gerichtet, hob sich aber sofort, wenn ein bezauberndes weibliches Wesen vorbeikam.
Jetzt faltete der kleine Mann seine Zeitung zusammen und richtete sich vor dem Zwei-Meter-Riesen Sénéchal zu seiner ganzen Größe auf. Der Umweltinspektor streckte ihm seine Pranke entgegen.
»Mein lieber Edouardo, welch ein Vergnügen ...«
»Monsieur Sénéchal, sind Sie seit unserem letzten Treffen etwa noch gewachsen?«
»Durchaus möglich, denn es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass das malaiische Klima dem Wachstum förderlich ist.«
Edouardo wies auf den Stuhl ihm gegenüber. Der Umweltinspektor nahm Platz und musterte ihn eine Weile. Einige weiße Fäden durchzogen Edouardos schwarzen Schnauzbart.
»Hübsch hier. Ein bisschen laut vielleicht. Aber die Frauen, was?«
Edouardo setzte sein strahlendes Verführerlächeln auf. Sénéchal nickte
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