Haarmanns Kopf
herausstellen sollte, dass die Hirnschnitte fehlen, wäre das ein eindeutiges Indiz dafür, dass beide Morde und beide Diebstähle zusammenpassen und von ein und demselben Täter verübt wurden“, stellte Yannik fest. „Das würde uns ein ganzes Stück weiterbringen.“
„Ehrlich gesagt, hatte ich mit einem derart bizarren Fall bisher noch nicht zu tun“, sagte Friedmann.
„Ich kann Sie da beruhigen, Herr Friedmann“, gab Martin zurück. „Wir auch nicht. Wir stehen vor einem Rätsel. Zum einen, weil offensichtlich jemand den Stil Haarmanns kopiert und Teile seines Kopfes stiehlt. Zum anderen, weil der mutmaßliche Mörder ein wasserdichtes Alibi zu haben scheint. Die Puzzleteile passen einfach nicht zusammen.“
„Herr Friedmann, ich schlage vor, dass wir später am Nachmittag noch mal miteinander telefonieren“, sagte Yannik.
„Einverstanden, ich melde mich, sobald die Kollegen das mit den Hirnschnitten überprüft haben. Bis dann …“
Yannik legte den Hörer auf. Martin klopfte Yannik auf die Schulter und sagte: „Guter Job.“ Dann ging er zurück zu seinem Schreibtisch und setzte sich.
„Was meinst du mit ‚guter Job‘?“, fragte Yannik.
„Na, deine Recherche bezüglich der Hirnschnitte und deiner Schlussfolgerung.“
„Das war eigentlich nur ein Nebenprodukt meiner Suche im Internet. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die Gehirnschnitte vielleicht noch eine Rolle spielen werden.“
„Wie auch immer, wenn dir Friedmann die Informationen über den toten Pförtner geschickt hat, müssen wir noch einmal mit Frau Langner und Matuszewski reden. Vielleicht besteht ja wirklich eine Verbindung zu dem Toten in München. Beide Opfer waren Pförtner. Ob sie für denselben Arbeitgeber gearbeitet haben, wird sich zeigen.“
„Okay“, sagte Yannik. „Weißt du, was wirklich makaber ist?“
„In diesem Fall sind sehr viele Dinge mehr als makaber. Was meinst du denn genau?“
„Die Feststellung von Dr. Paganetti vorhin, dass es leichter ist, ein Täterprofil zu entwickeln, wenn es sich um einen Serientäter handelt.“
„Du weißt, dass man per Definition erst bei drei Morden von einem Serientäter spricht.“
„Ja, das weiß ich. Aber, wer weiß, was noch alles passiert …?“
8
Die Werkstatt machte einen unaufgeräumten Eindruck. Ein mit Tierpräparaten, Exponaten und allerlei Plunder vollgestellter unübersichtlicher Raum, dessen Wände zahlreiche Vitrinen, Schränke und Regale zierten. In der Mitte ein großer, massiver Arbeitstisch mit dicken Beinen. An der hinteren Wand, direkt neben der Tür, eine große Spüle, auf der kleine Flaschen und zahlreiche Behälter mit chemischen Flüssigkeiten standen. Schaumstoffquader lagen in der Ecke. In einem kleineren Regal allerlei Werkzeug. Sägen, Fräser und Feilen.
Der Präparator, ein Mann mittleren Alters, stand vor dem Arbeitstisch. Er trug eine blaue Latzhose, ein gelbliches Sweatshirt und weiße Handschuhe und bohrte sorgsam kleine und große Nadeln in das Gefieder eines Mäusebussards, um die Seidenpapierbandagen zu fixieren, die das Gefieder des Vogels in Form halten sollten. Bei dem Bussard handelte es sich um eine Auftragsarbeit eines Försters, den er schon zweimal wegen des Abholtermins vertrösten musste. Deshalb hatte er sich vorgenommen, seine Arbeit heute abzuschließen, auch dann, wenn es die gesamte Nacht dauern würde.
Wenn er so konzentriert arbeitete, dachte er manchmal darüber nach, dass er bereits als kleiner Junge den Wunsch gehegt hatte, Tierpräparator zu werden.
Während seine Schulkameraden davon schwärmten Pilot, Rennfahrer oder Astronaut zu werden, schwelgte er in seinen Träumen in einer anderen Welt. Schon als Schüler durfte er einem benachbarten Präparator fasziniert über die Schulter schauen, und sein Wunsch verstärkte sich im Laufe der Jahre, einmal selbst diesen Beruf zu ergreifen. Leider entwickelte sich sein Leben anders als geplant, und ihm blieb nichts anderes übrig, als einen anderen Beruf zu ergreifen und seine Leidenschaft zu seinem Hobby zu machen.
Jede freie Minute verbrachte er heute in seiner Werkstatt, zwischen den hergerichteten Tieren. Längst füllten seine Schöpfungen nicht nur die Vitrinen im Korridor des Hauses. Hinter zahlreichen Schranktüren verbargen sich Tiere, wie Eichhörnchen, Fledermäuse, Kauze und Bussarde. Der Platz wurde langsam knapp. Selbst der hohe Gefrierschrank in der Ecke, in dem zahlreiche Tierkörper lagerten und darauf warteten, ihrem eigentlichen
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