Haarmanns Kopf
darf man hier nicht zu viel erwarten. Eine solche Fallanalyse kann unter bestimmten Umständen Entscheidungshilfen für die Strukturierung von Ermittlungen geben. Nicht mehr und nicht weniger.“
Nach einer weiteren halben Stunde war die Pressekonferenz beendet. Martin fragte Staatsanwalt Neubert, ob er ein paar Minuten Zeit für ihn hätte und bat ihn in den angrenzenden Besprechungsraum. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, fragte er: „Wer hat sich denn die Formulierung ausgedacht, dass bei den Durchsuchungsmaßnahmen am Wohnsitz des Festgenommenen weiteres belastendes Material sichergestellt wurde? Ihnen ist schon klar, dass das nicht stimmt, oder?“, fragte Martin.
„Das war eine Idee von Herrn Thimm. Er meinte, dass die Untersuchung ja noch läuft und sich vielleicht noch neue Aspekte ergeben.“
„Ich habe mir leider nicht die Einladung zur Konferenz vorher nicht genau angesehen. Die hätte so nicht verschickt werden dürfen. Ich bin da vorhin etwas ins Schleudern geraten, als die Frage danach aus dem Publikum kam.“
„Hat niemand bemerkt. Sie sind doch Profi, oder?“
Neubert verabschiedete sich und das Verhör Dembowskis konnte im Beisein Dr. Paganettis und seines Anwalts fortgesetzt werden. Danach erfolgte das Briefing des MoKo-Teams, zu dem auch drei Polizeibeamte aus München angereist waren.
Nach einer ausführlichen Auswertung der Fakten und der bisherigen Ergebnisse wurde die Bestandsaufnahme abgeschlossen und Martin verteilte die Aufgaben, wobei das Team in Gruppen von jeweils vier Personen eingeteilt wurde. Absolute Priorität hatte dabei die Suche nach den beiden Vermissten.
Team 1 sollte noch einmal alle Mitarbeiter der Animus-Klinik vernehmen, während Team 2 mit dem Abgleich der Bewegungsprofile von Paganetti, Kettner und Schröder beauftragt wurde. Team 3 und 4 erhielten den Auftrag, noch einmal das Privat- und Arbeitsumfeld der toten Pförtner zu durchleuchten. Martin wollte ausschließen, dass sie bei ihren bisherigen Untersuchungen vielleicht ein Detail übersehen hatten. Es wurde vereinbart, dass man sich an den Folgetagen jeweils um 16:00 Uhr zu einem Meeting treffen würde, um die Ergebnisse des Tages auszutauschen.
18
Der alte Friedhof war nach Art eines italienischen Campo Santo gestaltet und lag etwas außerhalb der Stadt, nahe der Bundesstraße 497. Wer das märchenhaft anmutende Gelände über den Westeingang betrat, erkannte schnell, was den eigentümlichen Charakter der 1836 angelegten Begräbnisstätte ausmachte. Hohe, teilweise mehr als 100 Jahre alte Bäume verliehen der denkmalgeschützten Anlage einen parkähnlichen Charakter. Links und rechts der Arkadengänge und exakt ausgerichteten Kieswege befanden sich aufwändig gestaltete Monumente, verspielte Engelfiguren und andere Skulpturen.
Ein schwacher, böiger Wind trug den Klang der Glocken von der kleinen Kapelle zum Friedhof herüber. Eine alte Frau, ganz in Schwarz gekleidet, weinte unentwegt und versuchte mit einem weißen Taschentuch ihre Tränen zu trocknen, als sie mit einer kleinen Gruppe von Trauergästen hinter einem schlicht gehaltenen Sarg über den Friedhof schritt. Der Trauerzug war nur kurz, keine 10 Meter. Die Sonne strahlte.
Etwas abseits stand der Bestatter. Dezent. Unauffällig. Mit ernst wirkendem Gesicht. Hinter einer biederen Fassade verbarg er seine wahren Emotionen, die ihn in seinen Gedanken an einen anderen Ort führten, weit weg von hier. Er erinnerte sich an die Nacht zum Freitag der letzten Woche, in der er erneut seinem Trieb erlegen war.
Nachdem er in der zurückliegenden Nacht Schröders Leiche entsorgt und keinen Schlaf mehr gefunden hatte, hatte er sich noch einmal aufgemacht und war nach Hannover zum Hauptbahnhof gefahren, um seinen Trieb zu befriedigen. Sein Drang, jemanden zu töten, steigerte sich ins Unermessliche.
Jetzt erzeugte seine Erinnerung surreale Bilder in seinem Kopf, und die Freitagnacht lief wie in einem Zeitraffer noch einmal vor ihm ab.
Ja, ich kenne die einschlägigen Treffpunkte der Stricher und ihrer Kunden am Hauptbahnhof. Bereits nach kurzer Zeit spreche ich einen jungen Mann an, der mir bereitwillig folgt, als ich ihm viel Geld für Sex verspreche.
Der kleine, dünne Körper des Mannes steckt in einem sackförmigen, verwaschenen Sweatshirt und in schwarzen Jeans. Die ineinander verknoteten Beine enden in groben, abgeschabten Boots, sein ovales Gesicht ist gut geschnitten und kantig.
Als wir in den Wagen steigen, der in einer
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