Haarmanns Kopf
dass wir bei unserer Arbeit oft Punkte berühren, deren Beantwortung unangenehm ist. Und das scheint in diesem Fall auch so zu sein. Hätte Dr. Jacobsen ein Interesse daran haben können, das Geburtsdatum seines Patienten Dembowski zu verändern?“
„Nein. Ich kann mir keinen Grund dafür vorstellen.“
„Hat Herr Dembowski jemals mit Ihnen über seine Familie und seine Geschwister gesprochen?“
„Selbstverständlich. Das ist Bestandteil der Therapie. Aber an seine Geschwister kann er sich so gut wie nicht erinnern. Als die Familie auseinanderbrach und er von seinem Bruder getrennt wurde, war er mal gerade drei Jahre alt.“
„Hat Dr. Jacobsen die Klinik freiwillig verlassen?“
Paganetti stand auf und atmete tief ein. Er rieb sich Augen und ging zum Fenster. Den Blick nach draußen gerichtet, antwortete er langsam und bedächtig: „Irgendwie holt mich dieses Thema immer wieder ein. Nein, er hat die Klinik nicht freiwillig verlassen. Wir waren damals leider dazu gezwungen, uns von ihm zu trennen.“
„Aus welchem Grund?“
„Es fing damit an, dass immer wieder Morphium-Ampullen verschwanden. Morphium findet Verwendung – damals wie heute – bei der Behandlung von Schmerzpatienten. Diese werden selbstverständlich in einem gesicherten Medikamentenschrank aufbewahrt. Da über die verabreichten Dosen genau Buch geführt wird, lässt sich leicht ablesen, welcher Patient wie viel Morphin erhält. Damals fiel auf, dass Dr. Jacobsen die Dosen bei einigen Patienten von 10 auf 20 Milligramm erhöht hatte. Auch der Verbrauch von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln stieg dramatisch an, und wir sahen uns dazu gezwungen, den gesteigerten Verbrauch zu überprüfen. Da sich parallel dazu das Verhalten Dr. Jacobsens veränderte, hatte ich den Verdacht, dass er etwas damit zu tun haben könnte. Ich wusste, dass er seit einem Autounfall starke Schmerzmittel nahm. Durch einen Zufall wurde er dabei erwischt, als er sich eine Morphium-Spritze setzte. Der Rest ist schnell erzählt. Ich stellte ihn zur Rede und er gab zu, sich zu einem Polytoxikomanen entwickelt zu haben.“
„Einem was?“
„Einem Polytoxikomanen. So nennt man Menschen, die gleich von mehreren Arzneimitteln und Drogen abhängig sind. Wir mussten ihn entlassen. Ich hatte keine andere Wahl.“
„Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?“
„Soweit ich weiß, war er eine Zeit lang in einer Suchtklinik. Nicht als Arzt, sondern als Patient. Eine Anstellung hat er nicht mehr gefunden. Ich glaube, dass er heute selbstständig ist. Er betreibt irgendwo in der Nähe von Holzminden eine eigene Praxis.“
„Haben Sie nach seinem Rauswurf noch mal mit ihm gesprochen oder ihn gesehen? Haben Sie vielleicht seine Anschrift oder Telefonnummer?“
„Nein, ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Sie können mir glauben, mir hat das Ganze damals sehr leid getan, aber ich hatte keine andere Wahl. Aber warum fragen Sie mich das? Glauben Sie, dass er das Geburtsdatum Dembowskis geändert hat?“
„Genau das wollen wir herausfinden. Noch eine andere Sache, Herr Doktor. Sie würden uns sehr helfen, wenn wir die offizielle Erlaubnis erhielten, Akteneinsicht in Dembowskis Krankenakte zu nehmen. Das ist ganz sicher auch in seinem Interesse.“
„Demnach halten Sie es für möglich, dass sein Bruder der Täter ist?“
„Wir müssen das zumindest überprüfen. Ich hatte Ihnen vorhin gesagt, dass wir ganz offen reden. Es geht auch darum, dass wir nicht Gefahr laufen wollen, dass unsere Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot zum Opfer fallen. Allerdings sollten Sie auch wissen, dass die Beschaffung aus Dembowskis Akte zwar rechtlich gesehen nicht ganz korrekt war, doch die daraus gewonnenen Erkenntnisse dürfen wir sehr wohl verwenden. Das hat sogar der Bundesgerichtshof entschieden.“
„Das ist mir neu, aber ich werde noch mal mit Dembowski reden. Wann werden Sie ihn hierher zurückbringen?“
„Das hängt ganz von den weiteren Ermittlungen ab. Ich habe noch eine andere Frage, und die habe ich Ihnen schon einmal gestellt. Sie haben am Donnerstagmorgen von 10:19 Uhr bis 10:27 Uhr mit Ihrem Mitarbeiter Schröder telefoniert. Worum ging es in dem Gespräch? Was wollten Sie von ihm?“
„Na ja, es ging darum, dass ich eine Krankenakte nicht finden konnte. Und er war nach meinem Kenntnisstand der Letzte, der sie benutzt hatte.“
„Ging es dabei zufälligerweise um Dembowski?“
„Ja.“
„Warum haben Sie das nicht sofort gesagt?“ Martin musste sich
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