Haarmanns Kopf
Stock und jeder Stein umgedreht werden. Kehrt alles von innen nach außen. Teilt euch am besten auf und fangt hier im Haus an.“
„Was ist mit einem Durchsuchungsbeschluss?“, fragte einer der Beamten.
„Das lass mal meine Sorge sein. Der wird nachgereicht. Im Moment geht es um zwei Menschenleben beziehungsweise Gefahr im Verzug“, sagte Martin. „Yannik und ich fahren jetzt zu Dr. Jacobsen. Ich werde noch eine Hundesuchstaffel in Göttingen anfordern, die euch bei der Suche unterstützen wird. Also, bis später ...“
*
Fünf Minuten später erreichten Martin und Yannik das Haus in der Fohlenplackener Straße, in dem der Arzt seine Praxis betrieb. Neben der Eingangstür strahlte ein Messingschild in der Morgensonne, mit mattschwarzer Inschrift:
Dr. med. Adrian Jacobsen
Facharzt für Nervenheilkunde
Neurologie/Psychiatrie
Termine nach Vereinbarung
Martin drückte den Klingelknopf neben dem Schild.
Ein Stimme drang in blechernem Ton aus dem kleinen Lautsprecher der Gegensprechanlage: „Ja, bitte?“
„Guten Morgen. Herr Dr. Jacobsen?“, sagte Martin.
„Ja, wer ist denn da?“
„Kripo Göttingen. Wir müssen Sie dringend sprechen. Lassen Sie uns bitte rein?“
Das Summen des Türöffners ertönte.
Sie betraten den Flur. Ein Stimme hallte durch das Treppenhaus: „Kommen Sie bitte nach oben in den ersten Stock.“
Der Arzt bat sie herein und führte sie in sein Büro, das mit hellen Ikea-Möbeln eingerichtet war. Er betrachtete die Visitenkarte, die ihm Martin überreicht hatte, und sagte freundlich: „Nehmen Sie Platz, meine Herren. Um diese Uhrzeit Besuch von der Kripo? Ich muss zugeben, das ist ein Novum. Was gibt es denn so Dringendes, dass Sie mich zu so früher Stunde sprechen müssen?“
„Mein Name ist Martin Venneker. Und das ist mein Kollege, Oberkommissar Marholdt. Wir ermitteln in zwei Mordfällen und haben in diesem Zusammenhang einige Fragen an Sie.“
„Gleich zwei Mordfälle? Das hört sich ja ziemlich spannend an. Und welche Fragen haben Sie an mich?“
„Herr Dr. Jacobsen, Sie haben bis vor circa anderthalb Jahren in der Animus-Klinik in Ringelheim gearbeitet. Damals war einer Ihrer Patienten Volkmar Dembowski. Sie werden sich sicher an ihn erinnern ...“
„Ja, selbstverständlich, wenngleich ich gestehen muss, dass meine Erinnerung an ihn alles andere als schön ist. Wurde er inzwischen entlassen, und hat er etwas angestellt?“
„Wieso haben Sie ihn in schlechter Erinnerung?“
„Herr Dembowski gehörte zu der Gruppe der schwer zugänglichen Patienten. Er war sehr verschlossen und nur selten dazu bereit, über seine Probleme zu reden. Wenn Sie so wollen, befand er sich in einem permanenten Zustand geistiger Isolation. Das stellt auch für einen erfahrenen Psychiater und Therapeuten wie mich eine große Herausforderung dar. Er war nicht dazu bereit, zu akzeptieren, dass bei ihm eine psychische Störung vorlag.“
„Was haben Sie unternommen, ihn aus dieser Isolation herauszuholen?“
„Psychoedukation.“
„Können Sie das vielleicht mit anderen Worten erklären?“
„Ja, selbstverständlich. Eigentlich wird die Psychoedukation eingesetzt, um Menschen mit psychischen Störungen zu schulen. Dabei geht es zum Beispiel um Schizophrenie, Zwangsstörungen, Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, aber auch um Persönlichkeitsstörungen wie bei Herrn Dembowski. Bei ihm war es das Ziel, ihn dahin zu bewegen, dass er seine Krankheit akzeptierte und in einem zweiten Schritt auch verstand, wie er damit umgehen sollte, indem seine persönlichen Erfahrungen mit der eigenen Erkrankung verband. Aber das ist leider nicht gelungen. Ich halte Herrn Dembowski für nicht therapierbar, ganz im Gegensatz zu meinem Kollegen Paganetti.“
„Es ist gut, dass Sie seinen Namen erwähnen. Wir haben mit Dr. Paganetti gesprochen, und er hält es durchaus für möglich, dass Herr Dembowski in nächster Zeit entlassen werden kann.“
„Das ist lächerlich. Herr Dembowski ist eine tickende Zeitbombe. Wenn er jemals entlassen werde sollte, hielte ich das für unverantwortlich. Er würde ganz sicher rückfällig werden. Aber wissen Sie, diese Diskussion habe ich immer wieder mit Herrn Paganetti geführt ...“
„Nicht nur diese Diskussion, richtig?“
„Wie meinen Sie das?“
„Er hat uns erzählt, dass sich die Klinik vor anderthalb Jahren von Ihnen trennen musste.“
„Ja, das hätte ich mir denken können, dass er Ihnen das erzählt. Ich
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