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Hab ich selbst gemacht

Hab ich selbst gemacht

Titel: Hab ich selbst gemacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Klingner
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im Internet nach Videos suche, in denen erklärt wird, wie die erste Reihe geht, sehe ich mich nur bestätigt: wahnsinnig kompliziert. Vor allem: Was die Frauen da in den Videos machen, sieht nicht mal annähernd aus wie das, was ich bei meiner Mutter gesehen habe. Und auch untereinander gleicht es sich nicht immer. Eine Engländerin hält sogar ihre beiden Stricknadeln in nur einer Hand und wickelt den Faden mit der anderen drumherum. Das, was ich bei meiner Mutter und Oma gesehen habe, war eher so ein schnelles Nadeln-zwischen-zwei-um-die-linke-Hand-gewickelte-Fäden-Hinundherwetzen.
    Anhand der Videotitel auf Youtube lerne ich: Es gibt das Maschenaufnehmen im »English Style« – die komische Wickelmethode –, im »Continental«, »German« und »Portuguese« Style. Letzteres sieht besonders lustig aus, weil der Wollfaden um den Nacken gelegt und auf diese Weise von der rechten Hand um den Hals herum zur linken Hand geführt wird.
    Ich schaue das Video zum »German Style« an. Ich schaue es noch einmal an. Dann nehme ich mir zwei Stricknadeln und einen Faden und klicke wieder auf »Play«. Ich drücke »Pause« und versuche, den Faden so um meine Finger zu wickeln, wie die Frau es da im Video macht. Ich spule das Video zurück und schaue es erneut an. Play, wickeln, Pause, zurück. Und das Ganze von vorn. Nach dem fünften oder sechsten Mal sieht das bei mir ungefähr so aus wie im Video. Also wieder »Play«. Die allererste Masche schaffe ich aus dem Stand, ist auch nur ein Knoten, wenn man es genau nimmt, aber dieser Erfolg euphorisiert mich für alles, was noch kommen mag. Play. Jetzt müssen die beiden Nadeln durch die vordere Schlaufe nach hinten, durch die hintere Schlaufe nach vorne, und dann soll ich den Faden auch noch loslassen! Dabei war ich gerade so glücklich, ihn da zu haben, wo er hingehört. Ichbin mutig, lasse los. Und habe einen merkwürdigen Knoten gemacht. Aber keine zweite Masche. Also noch einmal. Und noch mal. Play, vorne durch, hinten durch, loslassen, und: Es klappt. Masche Nummer zwei lacht mich an! Na, das machen wir doch gleich noch mal. Und wieder: eine Masche! Ich mache noch eine und noch eine und noch zwanzig mehr. Pah, das ist ja gar nicht sooo schwer, denke ich und schaue mir stolz an, was da in der letzten Stunde entstanden ist. Mit 31 Jahren habe ich meine erste erste Reihe gestrickt.
    Ich schreibe meiner Mutter eine SMS : »Habe meine erste erste Reihe gestrickt!«
    Kurz darauf kommt von ihr die knappe Antwort: »Aha.«
    Anscheinend versteht sie nicht, um welch historisches Ereignis es sich hier handelt: »Das konnte ich nie. Hast du immer gemacht.«
    Sie schreibt ein paar Minuten später zurück: »Na dann: Glückwunsch!«
    Offensichtlich bin ich hier die einzige Person, die das Gefühl hat, dass heute ein neues Leben anfängt: Ich kann alleine stricken, ohne meine Mutter.
    Dabei hatte Stricken immer sehr viel mit ihr zu tun, genauso wie andere Handarbeiten. Häkeln, Stricken, Nähen – habe ich alles von meiner Mutter gelernt, wenn auch nur in den Grundfähigkeiten und weit entfernt von jeglicher Raffinesse.
    Eigentlich ist das bei uns sehr klassisch abgelaufen, denke ich jetzt: Handarbeiten lernt man von der Mutter oder der Großmutter. Eine Generation bringt der nächsten Generation bei, wie man Fäden so verknotet, dass etwas Brauchbares dabei herauskommt. Ganz früher, noch bis ins 18. Jahrhundert, müssen das gar nicht unbedingt die Mütter und Großmütter gewesen sein, das Wissen über Handarbeitstechniken wurde eher vom Meister an den Gesellen weitergegeben; Stricken, Knüpfen, Nähen waren Handwerke wiejedes andere, habe ich gelesen. Und deswegen Männersache. Eine nette Vorstellung: ein Mann, der stricken oder nähen kann. Das hat was. Mein Mann kann es nicht. Er will es auch nicht lernen, ich habe ihn gerade gefragt. Dabei behauptet er, im Handarbeitsunterricht der 3. Klasse eine 1 fürs Stricken bekommen zu haben.
    Pech für den Mann. Er hätte da einige Punkte bei mir sammeln können. Sexy-Punkte. Die Band Coldplay, vier Männer, haben zum Beispiel die bunten Uniformen, die sie auf den Bildern und in den Videos ihres Albums »Viva la Vida« tragen, selbst genäht. Sehr sympathisch. Auch in Norwegen stricken die Männer – und die Frauen rauchen Pfeife. Das tapfere Schneiderlein, der türkische Änderungsschneider in meiner Straße, große Modedesigner – alles Männer. Trotzdem gilt es heute als »Frauending«. Merkwürdig.
    Noch ein paar Jahrhunderte weiter

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