Hab ich selbst gemacht
zurück gibt es dann wirklich Erstaunliches zu entdecken: nämlich die Tatsache, dass Stricken älter ist als Weben. Wer hätte gedacht, dass dieses Faden-mit-einer-Nadel-durch-eine-Schlaufe-Holen-und-Schlaufe-über-die-andere-Schlaufe-Legen schon länger gemacht wird als Faden-drüber-Faden-drunter-quer-zu-Faden-drüber-Faden-drunter? Tatsächlich taucht dieses Prinzip aber schon bei Fischernetzen oder zum Beispiel Ritterkettenhemden auf. Wie gesagt: klassisches Handwerk. Männersache.
Vielleicht ahnt das der Sohn der besten Freundin, denn als wir später am Tag beieinandersitzen und ich auf ihre verkrampften Finger schaue, die an einer ersten Reihe verzweifeln, kommt er zu uns und kräht: »Ich will das auch lernen!« Also sitzen wir zu dritt auf dem Sofa, die Freundin links, ihr achtjähriger Sohn rechts, und ich bin meine Mutter, die anderen Menschen beibringt, wie Handarbeit funktioniert.
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Tag 46
Die Berlinerin backt Krapfen
Es ist Faschingsmontag und damit Krapfenzeit. Wir wohnen direkt gegenüber einem Bäcker, der dafür bekannt ist, dass man dort gefühlte 200 verschiedene Sorten Krapfen bekommt. Man kann sie sich sogar nach Hause liefern lassen. Kein Witz, »Call-a-Krapfen« nennen sie das.
Aber: Obwohl Krapfen in manchen Gegenden »Berliner« heißen und ich das ja qua Herkunft auch bin, bin ich kein riesiger Faschingskrapfenfan. Ich bin noch nicht mal Faschingsfan. Weil ich als echte Preußin über ausufernde Feierlichkeiten wie Karneval, Fasching, Fastnacht oder das Oktoberfest nur mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf schütteln kann. Menschen haben überbordenden Spaß! Das gäbe es bei uns nicht.
Außerdem streiten der Mann und ich immer, wie die Dinger richtig heißen. Pfannkuchen, sage ich. So nennen wir sie bei uns in Berlin, zumindest im Osten. Pfannkuchen seien doch was ganz anderes, sagt daraufhin der Mann. Worauf ich wiederum sage, das, was er da meint, seien aber Eierkuchen.
Und nun sagt der Mann am Telefon zur besten Freundin, die uns zu einem gemeinsamen Essen am Faschingsdienstag einlädt: »Wir bringen Krapfen mit. Selbst gemachte.« Nachdem er aufgelegt hat, präzisiert er für mich diese Ankündigung: »Du musst Krapfen machen.«
»Ach so?«, sage ich und zeige dem Mann in Gedanken einen Vogel.
Aber wieso sollte ich eigentlich keine »Krapfen« machen?, denke ich mir im gleichen Moment. So ein Selbermachjahr ist ja genau dafür da: Sachen selbst machen, die man selbst machen könnte, aber nie selbst machen würde, weil man siezum Beispiel beim Krapfenhändler direkt gegenüber kaufen kann.
»Gut, mache ich also Krapfen«, antworte ich dem Mann. Ich suche nach dem Frühstück im Internet ein Rezept heraus, das recht einfach klingt und von vielen Menschen mit der Maximalzahl von fünf Sternen bewertet wurde. Ich packe meine Sachen für die Arbeit zusammen und stecke einen Einkaufsbeutel ein. Nach Feierabend werden Krapfen gemacht.
Am Abend hole ich aus meinem Einkaufsbeutel: Eier, Hefe und eine Flasche Sonnenblumenöl zum Frittieren. Meine erste Flasche Frittieröl. Ich habe noch nie im Leben frittiert.
Ich rühre etwas Hefe in Milch ein, lasse sie eine Weile stehen, schlage ein Ei, ein Päckchen Vanillezucker und etwas Butter ausgiebig schaumig und rühre nach und nach 250 Gramm Mehl unter. Zum Schluss kommt zu der entstandenen Krümelei noch die Hefemilch – wodurch ein klebriger, zarter Teig entsteht, der gut zwei Stunden ruhen muss und dem Mann und mir Zeit für das Abendessen gibt. Bevor ich mich neben ihn aufs Sofa vor den Fernseher setze, forme ich aus dem Teig zehn Bällchen, die nun noch mal stehen sollen, »bis sie sich schön vergrößert haben«. Das ist aber nicht gerade das, was ich eine präzise Backanleitung nenne, denke ich mir noch, lasse die Teigkugeln aber trotzdem in Ruhe und schaue einfach eineinhalb Stunden später nach, ob sie sich »schön vergrößert« haben. Sie haben. Prall und immer noch samtig zart liegen sie auf dem Holzbrett. Ich setze einen kleinen Topf auf den Herd, fülle ihn zur Hälfte mit Öl, und stehe nun vor der Frage, wie ich herausfinden soll, wann das Öl 170 Grad Celsius heiß ist. In unserem Haushalt gibt es nur ein Wetter-, ein Steak- und ein Fieberthermometer, und alle drei sind für solche Temperaturen nicht gedacht.
Also tippe ich meine Frage ins Google-Suchfenster undbekomme prompt eine Antwort: Bilden sich an einem Holzstäbchen, das man ins Öl hält, Blasen, ist es heiß genug fürs Frittieren.
Holzstäbchen also
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