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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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keine Kinder bekommen. Sie machten nur Ärger.
    Der Lichtkegel eines Autos erfasste mich. Der Fahrer drosselte die Geschwindigkeit des Wagens. Wahrscheinlich um zu gaffen, wer da dürftig bekleidet durch die Nacht rannte. Ich hielt den Stinkefinger in den Lichtschein. Sie sollten weiterfahren. Taten sie. Vielleicht hatten sie sogar Angst vor mir bekommen. Gut. Aber was, wenn sie Lena entdeckten. Ein knapp sechsjähriges Mädchen im Nachthemd. Allein unterwegs in den nächtlichen Straßen. Natürlich die Bullen rufen. Scheiße! Scheiße! Und alles, weil Lena nicht auf mich gehört hatte. Sie musste immer ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angingen. Sie hatte ihr Versprechen nicht gehalten. Dabei hatten ihre Augen vor Freude geleuchtet, als ich ihr den Koffer gegeben hatte. Sie wusste meine Leihgabe als wahre Kostbarkeit zu schätzen. Und sie hatte sicher sofort begriffen, dass ich in dieser Nacht etwas verheimlichen wollte. Dieses kleine, schlaue Miststück. Aber sie hatte ihr Versprechen, brav in ihrem Zimmer zu bleiben, nicht gehalten. Das passte nicht zu ihr. Sie hatte mich noch nie belogen. Ich sie dafür schon unzählige Male.
    Ich sah das unruhig flackernde Licht und dachte: Seit wann hat der ›Seemann‹ eine Discobeleuchtung? Im nächsten Augenblick begriff ich: Das war ein Wagen mit Blaulicht. Kein Martinshorn. Die Stille ließ den kreisenden Lichtkegel noch gespenstischer erscheinen. Polizei. Sie hatten Lena schon entdeckt. So schnell. Ich verlangsamte meine Schritte. Mein Atmen ging keuchend. Was sollte ich tun? Umkehren? Mich zu Hause in meinem Bett verkriechen und so tun, als wäre nichts passiert. Zu Hause. Ich konnte nicht zurück. Nicht in mein Zimmer. Ob er noch immer da lag? Lebte er überhaupt noch? Ich hatte mich nicht mehr um ihn gekümmert. Vielleicht war er aber schon aufgewacht und ebenfalls unterwegs. Hierher! Ich musste vor ihm mit Mama sprechen. Wer weiß, was für eine Lüge er ihr sonst auftischen würde. Und jetzt noch das Theater mit Lena. Dieses dumme Kind. Ich ging zögernd weiter und erkannte, dass es kein Polizeiwagen war. Sondern ein Rettungswagen, der hell erleuchtet mit Blaulicht vor dem Lokal stand. Männer in orangefarbener, reflektierender Kleidung knieten im Kreis auf der Straße. In ihrer Mitte lag ein Körper. Irgendein Apparat gab einen pfeifenden Ton von sich. »Vorsicht!«, rief einer der Männer. Es folgte ein Klack-Klack-Geräusch. Der reglos liegende Körper wurde wie von unsichtbaren Fäden vom Asphalt nach oben gezogen und wieder losgelassen. Mein Gott, das war Lena.
    Ich rannte los und schrie unsinnigerweise: »Lena! Lena!«
    Erst jetzt entdeckte ich Mama. Sie kniete auf der anderen Seite neben Lena. Genauso leichenblass wie meine kleine Schwester. Die Männer sahen sich ernst an und schüttelten übereinstimmend mit den Köpfen. Als sprächen sie sich für etwas Mut zu. Dann traten sie einen Schritt zurück. Eine riesige Lache aus dunkel glänzender Flüssigkeit wurde sichtbar. Blut! Lenas Blut! Und in dem Augenblick sah ich Lilly. Nur für den Bruchteil einer Sekunde tauchte ihr Gesicht auf. Ihr rotes Haar leuchtete im Schein des Blaulichtes unwirklich schön. Dann war sie verschwunden.
    Die Männer standen unbeholfen herum. Einer ging in den Wagen und telefonierte. Mama blieb neben Lena knien. Sie weinte so sehr. So sehr.
    Da platzte meine Schädeldecke. Ich begann zu schreien und schrie und schrie.
     
    Jemand hielt mich fest in seinen Armen. Wiegte mich sanft hin und her. Die Körperwärme tat gut.
    »So viel Angst. Sie haben so viel Angst«, murmelte eine Frauenstimme.
    Ja, Mama, dachte ich. Die habe ich. Angst. Ich öffnete langsam die Augen. Die Lider waren schwer, wie festgeklebt. Ich konnte sie nur mit Mühe hochziehen und hätte sie am liebsten sofort wieder geschlossen. Mich umarmte eine fremde Frau. Wo war meine Mutter?
    Die Frau bemerkte sofort, dass ich aufgewacht war. Sie ließ mich los und rückte auf der Bettkante ein wenig zur Seite. Ihre braunen Augen betrachteten mich weiterhin mit warmer Freundlichkeit. Wer war das? Ich hatte sie noch nie gesehen, da war ich mir sicher. Ihre wilde, dunkle Lockenpracht wäre mir im Gedächtnis haften geblieben. Die Unbekannte musste ungefähr in meinem Alter sein. Wie kam sie in mein Schlafzimmer? Stopp! Das war nicht mein Zimmer. Niemals. Auf der Fensterbank standen Grünpflanzen. Vor den Scheiben waren keine Gardinen. Nur an den Seiten hingen Stores aus lindgrünem Stoff. Mein Blick wanderte weiter an

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