Hab und Gier (German Edition)
hätte ich früher niemals zugetraut, dass er nicht alle Latten im Zaun hatte.
»Hat deine Nachbarin auch einen Mann?«, fragte ich.
Wolfram grinste schadenfroh. »Sie ist geschieden. Der biedere Herr Staatsanwalt hat sie mit einer Referendarin betrogen, geschieht ihr recht, der alten Ziege! Angeblich haben sie einen bitteren Kampf um das Haus ausgefochten, jetzt lebt sie ganz allein darin. Das hat sie nun davon.«
8
Der Heiratsantrag
Judith hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, sich für die ganze Woche krankschreiben zu lassen, obwohl es ihr nach drei Tagen bereits deutlich besserging. Am Mittwochabend rief sie mich an und teilte mir mit, dass sie beim nächsten Mal in die Biberstraße mitkommen wolle.
»Erinnerst du dich noch an das Märchen von den drei kleinen Schweinchen?«, fragte sie. »Sie tanzen am Ende vor Freude um den Kamin und singen: Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot, ein Ende hat die große Not! «
Die halbe Nacht ging mir das Schweinchenlied nicht aus dem Kopf. Wer sollte denn bitte schön das dritte Ferkel sein? Da hielt ich es doch lieber mit dem Anfang des Märchens, wo die Schweinemutter ihre Kinder fortschickt, um ein Haus für sich allein zu haben.
Wolfram lag wie immer auf dem Sofa, als Judith ihren Auftritt hatte. Sie trug die Bernsteinkette, einen rostfarbenen Mohairpullover, der durch einen tiefen Ausschnitt ihre Oberweite gut zur Geltung brachte, und etwas zu enge Hosen.
»Wunderschön siehst du aus«, sagte er. »Könntest du nur einmal kurz die Haare herunterlassen?«
Judith zögerte keine Sekunde, löste den Gummi aus dem Zopf und kämmte mit den Fingern die Strähnen auseinander.
»Und nun leg deine Hände um meinen Hals«, bat er. »Nur zur Probe, denn heute will ich noch nicht sterben!«
Während ich noch fassungslos staunte, schritt Judith zur Tat, hockte sich auf die Sofakante, beugte sich über ihn, schloss die Hände um sein faltiges, mageres Hälschen, drückte mit amüsierter Miene ein wenig herum und sah ihn erwartungsvoll an.
»Ja, so ist es gut«, schnaufte Wolfram und schielte in ihr Dekolletee. »Wärst du denn auch im Ernstfall dazu bereit?«
»Also bis zum Exitus?«, fragte sie, ließ los, richtete sich wieder auf und schüttelte entschieden den Kopf. »Wie stellst du dir das denn vor? Wenn ein Arzt die Würgemale entdeckt, würde er doch sofort eine Obduktion anordnen und die Kripo einschalten.« Sie nahm in einem Sessel Platz und lächelte ihm aufmunternd zu.
»Auch darüber habe ich nachgedacht. Entweder ihr wartet mit dem Auffinden meiner Leiche, bis ich mich fast aufgelöst habe und niemand mehr –«
»Igitt!«, rief Judith. »Das meinst du doch nicht im Ernst!«
Unbeirrt fuhr er fort: »Oder ihr hängt mich nach dem Erwürgen auf. Im Abschiedsbrief kann die Strangulation vermerkt sein.«
»Erwürgen und Erhängen sind immer noch zweierlei.«
Ich war außer mir. Warum ließ sich Judith auf diese Spinnereien ein? »Ihr habt doch beide nicht mehr alle Tassen im Schrank!«, rief ich. »Amüsiert euch ohne mich!« Ich stand auf und wollte gehen, aber Judith zwinkerte mir so spitzbübisch zu, dass ich zögerte. Ich wollte nicht als humorlose alte Schachtel gelten. Also setzte ich mich wieder hin und wartete erst einmal ab.
»Wie ich dich kenne«, sagte Judith zu Wolfram, »hast du bereits einen Entwurf für deinen Abgang aufgesetzt. Den würde ich gern mal lesen!«
»Muss ich noch ausdrucken«, sagte er. »Hol mir mal den Laptop!«
Nach etwa zehn Minuten hielt Judith das gedruckte Werk in Händen und las vor:
Ich, Wolfram Kempner, scheide freiwillig aus dem Leben, weil ich mir wegen meiner unheilbaren Krebserkrankung die letzten qualvollen Wochen ersparen und hier zu Hause in meiner gewohnten Umgebung sterben möchte; seit meine geliebte Frau tot ist, hat das Leben keinen Sinn mehr für mich. Ich habe mich für den Tod durch den Strang entschieden.
Mein Testament liegt in der obersten Schublade des Sekretärs, ebenso wie mein Personalausweis, die Geburtsurkunde, alle anderen persönlichen Papiere sowie meine Wünsche für die Bestattung.
Datum:
Unterschrift:
Geliebte Frau? Dabei hatte sie ihm das Leben zur Hölle gemacht! Mir lief ein Schauder über den Rücken. Die unerschrockene Judith nickte nur ermutigend: »Wo möchtest du denn aufgeknüpft werden?«
»Auf keinen Fall an einer Gardinenstange«, sagte Wolfram. »Die habe ich persönlich nicht eben fachmännisch angedübelt. Am besten in der Garage oder im Keller, dort laufen ein
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