Hab und Gier (German Edition)
paar stabile Heizungsrohre an der Decke entlang. Sterben will ich natürlich im Bett, ihr müsstet mich dann noch runterschaffen…«
»Und wann wäre der große Tag?«, fragte Judith.
»Auf jeden Fall erst dann, wenn die Opiate nicht mehr wirken und ich unerträgliche Schmerzen habe. Das wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, man kann die jetzige Dosis nur noch geringfügig steigern.«
»Okay«, sagte Judith. »Dann solltest du schleunigst deinen Abschiedsbrief mit einem Füller abschreiben, der Computerausdruck könnte von sonst wem stammen. An mir soll es nicht liegen, ich bin nach reiflichem Überlegen dazu bereit, dich durch Kompression der Halsschlagader ins Jenseits zu befördern.«
Ich konnte es kaum fassen! In welche Machenschaften wollte mich Judith da hineinziehen?
»Es darf natürlich keine Schleifspuren geben«, überlegte Wolfram. »Ihr müsstet mich tragen. Aber ich wiege ja nur noch achtundfünfzig Kilo, das müsste für zwei starke Frauen doch kein Problem sein.«
Judith kicherte boshaft. »Das wird Karla auch allein verkraften, ich will nicht schon wieder einen Hexenschuss –«
»Jetzt reicht’s!«, sagte ich, schlug mit der Faust auf den Tisch und ließ die beiden allein.
Im Auto fluchte ich leise vor mich hin. Was war Judith doch für ein unberechenbares Luder! Kaum war ein Mann in ihrer Nähe – selbst wenn es ein todkrankes Männlein war –, ließ sie sich mit ihm ein und begann zu kokettieren. Auch Wolfram benahm sich in Judiths Gegenwart nicht wie ein Todgeweihter. Er machte ihr Komplimente, seine leise Stimme klang frischer und männlicher, er versuchte es sogar mit kleinen Scherzen.
Hätte ich mich doch bloß mit Testament Nr. 2 zufriedengegeben und Judith nicht eingeweiht! Hatte sie allen Ernstes vor, es auf ein Verfahren wegen Tötung auf Verlangen oder gar wegen Mordes ankommen zu lassen? Falls man Wolframs Suizid anzweifelte, dann hatten wir als einzige Erbinnen ein überzeugendes Mordmotiv. Welcher Staatsanwalt würde uns schon glauben, dass das Opfer tatsächlich erwürgt werden wollte! Ich hatte mich mittlerweile kundig gemacht, dass man in Deutschland zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterschied. Zum Beispiel war eine Giftspritze – auch auf Verlangen des Kranken – strafbar. Nur ein indirekter Eingriff durch schmerzlindernde Medikamente, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen, wurde billigend in Kauf genommen.
Ich war kaum zu Hause, da klingelte das Telefon. Aber es war keine Entschuldigung der reumütigen Judith, sondern meine Schwägerin aus Kanada, die ausführlich über ihre jüngste Enkelin berichtete. Die Kleine habe leichtes Fieber und bekomme wohl ihr erstes Zähnchen. Eine Weile hörte ich geduldig, wenn auch zähneknirschend zu, unterbrach aber schließlich den Redefluss und behauptete, ich hätte einen Termin.
»Ja, solche Sorgen kennst du nicht«, meinte Rachel etwas süffisant und legte auf.
Erleichtert ließ ich mich auf meine Couch fallen und stellte den Fernseher an. Obwohl mich die Sendung über freilebende Trampeltiere in der Mongolei nicht wirklich interessierte, würde sie mich vielleicht ablenken. Ich wollte so schnell nicht mehr gestört werden. Doch bald darauf klingelte es Sturm.
Judith überreichte mir einen Umschlag: »Damit du weißt, was du morgen einkaufen sollst!«
Das hätte man mir auch telefonisch durchgeben können, erwiderte ich unfreundlich. Doch sie wollte offensichtlich plaudern, machte den Fernseher aus und setzte sich ungefragt neben mich. »Kriege ich einen Tee? Am liebsten einen Roibusch!«
Immerhin war Judith über eine Stunde lang mit Wolfram allein gewesen, da konnte viel geschehen sein. Also kramte ich einen uralten Teebeutel namens Buschtrommel heraus (mit angeblich lieblich-exotischem Fruchtgeschmack) und war ganz Ohr.
»Denk dir, er schickte mich ins Schlafzimmer, um ein schwarzes Négligé zu suchen. Obwohl ich in letzter Zeit ziemlich zugenommen habe, war es mir viel zu weit. Ich habe es mit einer großen roten Schleife in der Taille zusammengeschnürt. Sah aus wie ein Geburtstagspäckchen. Der Wolf war hin und weg und starrte mich an wie das achte Weltwunder!«
»Wie kannst du nur auf seine perversen Spielchen eingehen!«, rief ich aufgebracht. »Beim nächsten Mal verlangt er, dass du alle Hüllen fallen lässt!«
Judith kicherte. »Es hat sich gelohnt! Schau mal!«, und sie hielt mir die linke Pfote entgegen. Der monströse Ring hatte in der Mitte ein plumpes Herz aus rotem
Weitere Kostenlose Bücher