Hab und Gier (German Edition)
bereits anrückten, die Leiche in einen Sarg betteten und abtransportierten. Judith und ich stellten uns auf die Straße und beobachteten erleichtert, wie der schwarze Wagen beladen wurde und davonfuhr.
Noch bevor wir in die Fälscherwerkstatt zurückkehren konnten, kam Frau Altmann aus dem Nachbarhaus angelaufen.
»Mein Beileid!«, sagte sie und schüttelte erst mir, dann Judith die Hand. »Ist Herr Kempner in Frieden von uns gegangen?«
»Er ist zum Glück einfach eingeschlafen«, sagte ich und schneuzte mich. »Zwar wussten wir, dass sein Ende nahte, doch es ist furchtbar, einen Toten vorzufinden.«
»Das kann ich nachfühlen«, sagte Frau Altmann. »Haben Sie denn schon die Sabrina benachrichtigt?«
»Wer soll das denn sein?«, fragte Judith.
»Nun, die Nichte von Bernadette«, sagte Frau Altmann. »Sie ist sicherlich als Alleinerbin vorgesehen. Daher könnte sie sich auch ruhig um die lästigen Formalitäten kümmern. Ich bewundere Sie sehr, dass Sie ihn so selbstlos gepflegt haben! Wissen Sie schon, wann die Beisetzung stattfindet?«
Judith warf mir einen warnenden Blick zu. »Der Termin steht noch nicht fest«, sagte ich, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. Wir verabschiedeten uns rasch, ohne Frau Altmann ins Haus zu lassen oder etwas über die Qualle zu sagen.
»Durch und durch eine Spießerin, diese Frau Altmann«, sagte Judith. »Was machst denn du für ein Gesicht? Du siehst ja fast verzweifelt aus! Hast du den Wolf etwa doch geliebt?«
»Verliebt habe ich mich schon ewig nicht mehr. Höchstens in Bäume und Vögel. Schau doch mal, drüben im Garten fliegt eine Elster – ist die nicht wunderschön?«
Judith zuckte mit den Schultern und kommandierte: »Jetzt aber an die Arbeit und keine Müdigkeit vorschützen! Wenn du perfekt gefälscht hast, gehört dir auch dieses Federvieh, es hat nämlich in der hohen Tanne ein Nest gebaut.«
»In der germanischen Mythologie war die Elster der Vogel der Todesgöttin«, sagte ich. »Die will ich lieber aus der Ferne beobachten, wenn sie demnächst ihre Jungen füttert.«
»Mir ist eigentlich ein Brathendel der liebste Vogel«, meinte Judith. »Ein gutgemästeter, fetter Kapaun.« Und schon begann sie, den bekannten Kanon vom toten Hahn zu variieren: »Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot!«
Ich stimmte nicht ein, weil ich den Text überhaupt nicht lustig fand. Stattdessen legte ich die Bankvollmacht vor mich hin und übte Wolframs Unterschrift auf einem Schmierzettel.
13
Das neue Testament
Judith hatte im Internet recherchiert und mir die wichtigsten Patzer genannt, die es beim Fälschen zu vermeiden galt. Allmählich begann ich zu glauben, dass ich meinen Beruf verfehlt hatte. Mein Falsifikat war so mustergültig geraten, dass ich die Siegerin einer Betrügerolympiade hätte werden können. Ich hatte selbstverständlich das gleiche Papier, denselben Füller, die gleiche Tinte wie Wolfram verwendet und mir alle Besonderheiten, jeden Buchstaben, den Bewegungsfluss, die Wortwahl, die Orthographie, den Satzbau, die Gliederung und den Zeilenabstand der Originale durch fleißiges Üben angeeignet. Nur wenn ein Vergleich durch einen forensischen Graphologen oder ein Gutachten eines kriminaltechnischen Labors angefordert würde, wurde die Sache brenzlig. Mir war klar, dass erst gar kein Zweifel aufkommen durfte. Die größte Gefahrenquelle war die Qualle, die ein Interesse an der Anfechtung dieses Testaments haben konnte.
Obwohl ich es ja besser wusste, rief ich bei Wolframs Rechtsanwalt an und fragte in aller Unschuld nach dem Vorliegen einer letztwilligen Verfügung. Ich behauptete, der Verstorbene habe mir unter bereits erfüllten Voraussetzungen eine Erbschaft zugesagt, ich wisse aber nicht, um welche Summe es sich dabei handle. Um anstehende Rechnungen, auch die Kosten für die Beerdigung, den Grabstein und den Friedhofsgärtner zu bestreiten, müsse ich Klarheit haben.
Natürlich verneinte der Jurist meine Frage, erinnerte sich aber immerhin an einen Anruf von Herrn Kempner, in dem von diesbezüglichen Plänen die Rede war.
»Ja, ja, er hatte vor, einer Kollegin – aus Dankbarkeit für ihren pflegerischen Einsatz – eine größere Summe oder auch Immobilien zu hinterlassen«, sagte der Rechtsanwalt. »Aber im Einzelnen haben wir nicht darüber gesprochen; es ging Herrn Kempner vorerst um die äußere Form eines gültigen Testaments, dass es zum Beispiel handschriftlich verfasst, unterschrieben und mit einem Datum versehen sein muss und so weiter.
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