Hab und Gier (German Edition)
Wahrscheinlich wird er in seinen Akten ein vorschriftsmäßiges Exemplar hinterlegt haben, mein Klient war ja ein äußerst gewissenhafter und ordentlicher Mensch. Falls ein Testament vorhanden ist, sollte man es samt einer Sterbeurkunde direkt beim Nachlassgericht abgeben und gleichzeitig einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins stellen.«
»Bis jetzt habe ich noch gar nicht nachgeschaut«, log ich.
Das neue Testament hatte ich zwar fertig, doch beim Datum kamen mir Zweifel, und ich überlegte hin und her. Konnte man der Tinte ansehen, wie lange sie schon getrocknet war? Sicherlich war es besser, keinen uralten oder allzu neuen Zeitpunkt anzugeben, ich wählte also den Tag des Gabelfrühstücks, an dem mich die neugierige Nachbarin bestimmt gesichtet hatte. Dann machte ich vorsichtshalber eine Kopie für mich, steckte meine treffliche Fälschung in eine Klarsichthülle, schrieb auf einen DIN - A 4-Umschlag Mein letzter Wille, reichte Judith ebenfalls ein Paar Handschuhe und legte ihr das fertige Werk zur Beurteilung vor.
»Formal natürlich perfekt, nur der Inhalt gefällt mir nicht. Ich werde ja noch nicht einmal erwähnt!«, sagte sie enttäuscht. »Gönnst du mir denn gar nichts? Ich dachte, wir ziehen das Ding gemeinsam durch und machen halbe-halbe.«
»Daran habe ich durchaus gedacht«, sagte ich. »Wenn alles wunschgemäß geklappt hat, sichere ich dir lebenslanges, mietfreies Wohnrecht zu, wahlweise im Erdgeschoss oder in den Mansarden. Und auch sonst werde ich großzügig teilen, wenn ich erst mal weiß, wie viel Kohle Bernadette in Aktien oder anderen Wertpapieren angelegt hat.«
»Und der Schmuck?«
»Kannst dir alles krallen, was dir gefällt«, sagte ich. »Aber bitte erst nach der Beerdigung. So, und jetzt lass es gut sein, schließlich nehme ich ja das volle Risiko auf mich. Wenn die Sache auffliegt, komme ich wegen Urkundenfälschung vor Gericht, und du wäschst deine Hände in Unschuld. Aber mach dir keine Sorgen! Wenn wir erst alle Hürden genommen haben, werde ich mir schon etwas zu deinen Gunsten einfallen lassen. Bis jetzt ist ja leider noch gar nichts in trockenen Tüchern.«
»Stimmt«, sagte sie leichthin. »Der Wolf ist zwar tot, aber das Fell nicht abgezogen. Wo du schon so fleißig warst, werde ich mich jetzt auch nützlich machen und den Umschlag wegbringen.« Und schon fegte sie zur Tür hinaus.
Nun, wo Judith fort war, nahm ich mir noch einmal Bernadettes Schmuckkasten vor und taxierte zum zweiten Mal ihre Juwelen. Ein paar alte, kleine und feine Ringe, Broschen und Kettchen nahm ich an mich und versteckte sie in einer leeren Seifenschachtel. Als Nächstes wollte ich zur Sicherheit Wolframs Originaltestamente sowie seine Entwürfe und meine unzähligen Übungsblätter vernichten und holte einen leeren Blechkasten mit der Aufschrift Nürnberger Elisenlebkuchen aus dem Keller. Als Judith nach einer halben Stunde zurückkam, war nur noch ein kleiner Scheiterhaufen aus verkohlten Papierschnitzeln davon übrig, doch sie begriff sofort, was da gemeinsam mit uralten Gebäckkrümeln verbrannt war. Die Asche schüttete ich in die Toilette und hoffte, dass damit die letzten verräterischen Spuren beseitigt waren.
Vorsichtshalber beschlossen wir, Termin und Ort der Beerdigung nicht öffentlich bekanntzumachen. In knapp einer Woche war es so weit.
Judith meinte, ein Powernap sei jetzt angesagt, morgen müsse sie auf jeden Fall wieder arbeiten und fit sein. Doch kaum hatte ich mich hingelegt, sprang ich wieder auf und schloss die Tür zum Keller und auch mein Schlafzimmer ab, da Cord womöglich immer noch den Garagenschlüssel in der Tasche hatte.
Am Abend saßen wir zwar vor laufendem Fernseher beieinander, doch jede war in Gedanken woanders. Irgendwann schaltete ich den Apparat aus und meinte: »Die Programme werden immer langweiliger, früher gab es bessere Tatorte . Du hattest mir versprochen, mich über Cord aufzuklären. Wie kommt er, bitte schön, dazu, dir diesen Bärendienst zu erweisen…«
»Alles begann mit einer Jugendsünde. Ich lernte ihn als Schülerin kennen und verliebte mich sofort. Er war ganz anders als meine braven Mitschüler, auch etwas älter als meine Clique und unerhört cool. Damals hatte er einen Irokesenschnitt. Schon nach wenigen Wochen waren wir unzertrennlich und schmiedeten verwegene Pläne: Wir wollten auswandern, um in Thailand eine Tauchschule aufzumachen oder auch ein bayerisches Restaurant für deutsche Touristen. Allerdings konnten wir beide
Weitere Kostenlose Bücher