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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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hatte ich mir noch den Laternenumzug der hiesigen Grundschüler angeschaut und dabei wehmütig an Lilli und Paul gedacht. Meine trübe Stimmung war jedoch am nächsten Tag wie fortgeblasen, als ich ein amtliches Einschreiben mit fliegenden Fingern aufriss. Fast konnte ich es nicht glauben, dass ich tatsächlich Wolframs Alleinerbin geworden war, ganz ohne behördliche Schikanen, ohne irgendein Wenn und Aber. Zwar waren noch einige bürokratische Hürden zu überwinden, doch dann konnte ich endlich die alte Wohnung aufgeben und mich in der Biberstraße als absolute Monarchin fühlen.
    Als ich die wunderbare Nachricht – die mich früher als erwartet erreicht hatte – halbwegs verdaut hatte, war mein erster Impuls, Judith anzurufen. Ich hatte den Hörer schon in der Hand und die drei ersten Zahlen der Bibliothek bereits gewählt, da überlegte ich es mir anders. Bis jetzt hatte ich kein eigenes Testament verfasst, weil ich ja noch nichts zu vererben hatte, aber nun würde Judith Druck machen. Vielleicht war es klüger, möglichst lange zu schweigen; irgendwann, wenn der Umzug und die Renovierungen fällig wurden, konnte ich immer noch darauf zu sprechen kommen. Andererseits würde sie es mir wohl sehr verübeln, wenn ich mit dieser Nachricht hinter dem Berg hielt, und außerdem konnte ich die sensationelle Neuigkeit sowieso nicht lange für mich behalten. Von meinem zweiten geerbten Haus brauchte sie jedenfalls nichts zu erfahren. Ich würde es verkaufen und mit dem Erlös die Steuer und die Renovierungen bezahlen.
    »Eins nach dem anderen«, murmelte ich, kaufte zur Feier des Tages einen großen Strauß Chrysanthemen, duftende Bienenwachskerzen, Champagner, Kaviar, Buchweizenmehl, Rehrücken, Preiselbeeren sowie Petits Fours. Für den heutigen Abend konnte ich gut ein Stückchen Wolfspelz zu Markte tragen.
    »Wie kommen wir zu der Ehre?«, fragte Judith, und auch Cord sah mich mit staunenden Augen an, während wir bei Kerzenschein mit den zierlichen Kristallgläsern anstießen, die aus Bernadettes Mitgift stammen mussten.
    »Ab heute gehört das Haus mir«, sagte ich, trank einen großen Schluck und sah meine Mitbewohner erwartungsvoll an. Judith kreischte auf vor Begeisterung, Cord lächelte verträumt und häufte sich Kaviar auf die Blinis, die es als Vorspeise gab.
    »Kaum zu glauben! Zeigst du mir die gute Nachricht?«, fragte Judith. »Ist doch spannend, was du sonst noch alles abstaubst…«
    »Ein andermal«, vertröstete ich sie. »Es muss sowieso erst noch einiges geregelt werden. Aber wir können endlich unsere Wohnungen kündigen und schon mal die Renovierung und Aufteilung planen.«
    »Ich bin mit meinem Zimmer völlig zufrieden«, meinte Cord, als sei seine permanente Anwesenheit auch künftig eine Selbstverständlichkeit. »Und ich mit den Mansarden«, sagte Judith. »Du kannst dich also in der Beletage nach Belieben ausbreiten.«
    »Vielen Dank für eure Großzügigkeit«, sagte ich. »Dann steht also die Küche im Parterre weiterhin allen zur Verfügung, Wolframs Wohnzimmer wird zum allgemeinen Treffpunkt, und vermieten kann ich gar nichts.«
    Über meine Worte schien Cord nachzudenken, er zog die Stirn in senkrechte Falten. »Miete könnte ich im Augenblick nicht zahlen, aber dafür werde ich die gesamte Knochenarbeit übernehmen – tapezieren, streichen, lackieren, Holzdielen abziehen, elektrische Leitungen verlegen und so was alles…«
    »Du scheinst ja ein Allround-Handwerker zu sein«, bemerkte ich etwas skeptisch, aber Judith verteidigte ihren Schützling.
    »Er kann wirklich fast alles«, sagte sie. »Cord hat sogar bei einem Freund die defekte Gasleitung repariert.«
    Wollte man mich am Ende auf diese Art umbringen?! Unsachgemäße Manipulationen an der Heizung haben ja schon häufig zu Katastrophen geführt. Doch eine Explosion, die das gesamte Haus zerstören würde, konnten sie sich nicht leisten.
    »Es gibt ein paar Sachen, die sollte man lieber einem Fachmann überlassen«, sagte ich und schluckte. »Dafür gebe ich gern etwas mehr Geld aus. Von mir aus kannst du aber morgen schon damit anfangen, die scheußlichen Tapeten in meinen Zimmern abzureißen. Der Teppichboden ist ebenfalls ziemlich versifft.«
    »Zu Befehl«, sagte Cord. »Man müsste einen großen Container für all den Müll bestellen!«
    Auch die zweite Flasche war schnell geleert, es folgte noch eine dritte. Als ich endlich im Bett lag, durchströmte mich ein überwältigendes Glücksgefühl. Nicht nur, weil ich jetzt

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