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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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abgeschlossen. Als ich einstieg, fand ich den verlorenen Schlüsselbund auf dem Beifahrersitz. »Mensch, Karla, du wirst alt!«, murmelte ich, war aber trotzdem erleichtert.
    Beim Abendessen stellte ich Judith zur Rede. Cord war ausgeflogen, allerdings ohne Sack und Pack. Bestimmt würde er sich in der Dunkelheit wieder hier einschleichen.
    »Da muss er etwas falsch verstanden haben«, sagte Judith, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich habe nur mal erwähnt, ich wüsste gern, was im Erbschein drinsteht!«
    »Ich besitze noch gar keinen Erbschein«, sagte ich verärgert. »Bisher habe ich nur einen Brief vom Nachlassgericht erhalten, den kannst du gern mal sehen.«
    Als ich ihr das Anschreiben überreichte, konnte Judith sich mit eigenen Augen überzeugen, dass man mich zwar für die rechtmäßige Erbin hielt, aber noch keine Details über das zu erwartende Vermögen angegeben waren. Es wurde mir nur der Termin für ein persönliches Vorsprechen mitgeteilt.
    »Na ja, nächste Woche wissen wir mehr«, kommentierte sie. »Im Übrigen war es ein Fehler, dass du Cord rausgeschmissen hast, denn er wird sich rächen. Schließlich weiß er mehr über unsere Erbschaft, als uns lieb sein kann. Und überhaupt – wer außer ihm sollte in Zukunft das Grobe übernehmen? Zieh nicht gleich so ein Gesicht, vielleicht lässt sich alles wieder einrenken, lass mich nur machen. – Ohne ihn wären wir nie so weit gekommen wie jetzt, wo wir fast am Ziel unserer Wünsche sind!«
    Warum sagt sie immer wir ?, dachte ich, schließlich ist nicht sie die Erbin, sondern ich.
    Judith lächelte mich fröhlich an und wechselte das Thema: »Eigentlich wollte ich mir heute noch einen Blockbuster anschauen, kommst du mit ins Kino?«
    »Was läuft denn gerade?«
    »Na ja, Fantasy ist wohl nicht deine große Leidenschaft…«
    Sie wusste natürlich, dass ich diesen übernatürlichen Humbug immer weniger mochte. Judiths Vorliebe für Krimis konnte ich irgendwie noch billigen, intelligente Science-Fiction war vertretbar, Klassiker wie Bram Stoker oder Orwell hatte ich in meiner Jugend selbst gern gelesen, aber seit Harry Potter ging mir der infantile und klischeehafte Kult um gehörnte lila Jungfrauen, geflügelte Ritter, sprechende Drachen oder ähnlichen Schwachsinn total auf den Geist. Ich erteilte Judith also eine harsche Abfuhr, und sie verließ mich grinsend.

21
    Judas
    Zu Beginn des Winters stellte ich fest, dass ich Wolfram auf kuriose Weise zu ähneln begann. Seit ich den Erbschein erhalten hatte und über den gesamten Besitz des Verstorbenen verfügte, hatte mich Judith wiederholt auf die Notwendigkeit eines eigenen Testaments hingewiesen. Ich muss gestehen, dass ich fast täglich an einer wasserdichten Formulierung feilte und genau wie Wolfram schon mehrere Entwürfe angefertigt hatte, die ich alle wieder verwarf. Schließlich war ich keine Juristin, wollte aber trotzdem eine perfekte Fassung hinkriegen, einen Text, an dem es nichts zu deuteln gab. Meine noch ungültigen Rohfassungen verschloss ich sorgfältig, wie ich mir einbildete.
    Die Renovierung meiner Wohnung machte gute Fortschritte, ich war froh, dass Cord geblieben war und sich als tüchtiger Handwerker erwies. Dabei kam uns zugute, dass er im Keller eine altmodische, aber funktionierende Werkstatt vorfand. Für die Installation einer neuen Gasheizung hatte ich allerdings einen Fachmann beauftragt. Inzwischen residierte ich im ersten Stock fast wie eine feine Dame; nicht nur eine blassblaue Seidentapete im Schlafzimmer, auch safrangelb gewischte Wände im Wohnzimmer waren mein ganzer Stolz. Die alten Eichenholz-Dielen hatte Cord abgeschliffen und geölt, ich wollte keinen neuen Teppichboden. Zwar fehlte noch so manches, ich experimentierte und stellte Möbel immer wieder um, war aber alles in allem hoch zufrieden, Cord übrigens auch. Im Parterre hatten wir noch gar nichts unternommen, die dortige Küche war schließlich noch in Ordnung, damit gab ich mich erst einmal zufrieden.
    Wie du mir, so ich dir, dachte ich eines schönen Tages. Judith hatte Cord damals überredet, nach meinem Erbschein zu suchen. Im Gegensatz zu den Mansarden konnte man bei mir nur einzelne Zimmer abschließen, meine Wohnung insgesamt jedoch nicht. Wenn ich nicht zu Hause war, spazierten die beiden womöglich nach Lust und Laune in meinen Räumen herum. Ich dagegen war nie mehr in der Dachwohnung gewesen, weil Judith sich nicht ein einziges Mal herabgelassen hatte, mich in ihr Reich einzuladen. Um sie

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