Hab und Gier (German Edition)
kniefällig darum zu bitten, war ich zu stolz. Da meine Hausgenossen gerade für einige Zeit abwesend waren, wollte ich jetzt endlich einmal das Obergeschoss inspizieren. Judith war bei der Arbeit, Cord mit dem Hund unterwegs.
Die Wohnungstür war zwar erwartungsgemäß verschlossen, aber ich besaß ja einen Zweitschlüssel. Alles sah völlig anders aus, als ich es bei meinem ersten Besuch vorgefunden hatte. Die Kindermöbel waren offenbar auf dem Dachboden gelandet, die Wände hatte Cord frisch getüncht und einige von Judiths Möbeln klammheimlich herbeigeschafft. Im Schlafzimmer stand ein neues Doppelbett mit einem seltsamen Gesundheitskissen, das angeblich bei Verspannungen half. Es war erstaunlich, dass ich von diesen Veränderungen – abgesehen von gelegentlichem Gepolter auf der Treppe – rein gar nichts mitgekriegt hatte. Hinter meinem Rücken hatte meine Freundin sich längst häuslich eingerichtet.
Hier erinnerte nichts mehr an Bernadettes unerfüllten Kinderwunsch. Mir fiel ein, dass Lilli und Paul kürzlich zu Besuch gewesen waren und zum ersten Mal bei ihrem Vater übernachtet hatten. Es war das einzige Wochenende, an dem Judith aushäusig blieb, angeblich um in Frankfurt den 30. Geburtstag eines ehemaligen Klassenkameraden zu feiern. Da es für Spiele im Garten zu kalt und zu nass war, las ich den Zwillingen stundenlang vor. Beide saßen neben mir auf dem Sofa und hörten aufmerksam zu. Lilli hielt eine Puppe auf dem Schoß, Paul ein Plüschtier. Natürlich waren es Spielsachen aus Bernadettes liebevoll eingerichtetem Kinderzimmer. Lillis Puppe steckte in einem violetten Vampirkostüm mit aufgenähten Flügeln; die viel zu großen, schneeweißen Eckzähne waren an beiden Mundwinkeln mit Ölfarbe aufgemalt, ebenso die pechschwarzen dreieckigen Augenbrauen. Der ursprünglich so harmlose Teddy war zum Teufel mutiert, Bernadette hatte ihm Hörner sowie einen langen Schweif aus Filz angeheftet und ein feuerrotes Mephisto-Cape umgehängt. Den Kindern schienen diese Monster zu gefallen, sie nannten ihre Lieblinge Satansbärle und Blutbarbie .
»Hat uns der Papa geschenkt«, beantworteten sie meine Frage.
»Wir haben noch mehr«, sagte Paul, »aber die meisten Sachen sind eher für Babys.«
Offenbar hatte Cord, der unsichtbar durch das Haus geistern konnte, seinen Kindern nach und nach das gesamte Spielzeug gegeben.
Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht, während ich mich in Judiths Zimmern umsah. Das Bad mit seinen kitschigen rosa Fliesen hatte sich nicht weiter verändert. In einem noch recht kahlen Raum, der als Küche vorgesehen war, standen ein Ikea-Regal und ein Kühlschrank, auf einem Tisch eine Kochplatte und ein elektrischer Wasserkessel. Judiths Schreibtisch befand sich im Wohnzimmer unter einem schrägen Dachfenster, der Rechner war zu meiner Verwunderung nicht ausgeschaltet. Ich hütete mich aber, dieses Ungeheuer auch nur anzurühren, obwohl ich es bestimmt geschafft hätte, ihre Mails zu lesen.
Etwas unschlüssig zog ich die oberste Schreibtischschublade ein Stück weit auf. Ein größeres Blatt ragte hervor, das ich als einen laienhaften Grundriss dieses Hauses mit handschriftlichen Eintragungen identifizierte. Interessant, dachte ich, wie hat sich meine liebe Judith denn einen Umbau vorgestellt?
Im Erdgeschoss wollte sie offensichtlich eine Wand herausnehmen und aus zwei Räumen einen einzigen Saal als Lese- und Internetcafé einrichten. Könnte man sogar machen, dachte ich, das hatten wir früher auch einmal in Erwägung gezogen. Cord sollte sein Zimmer anscheinend behalten und für die Kunden in der angrenzenden Küche Kaffee zubereiten. Ich nickte beifällig, aber mein Wohlwollen schwand, als ich mir auf der Rückseite des Papiers einen Aufriss der eigenen Wohnung ansah. Auch im ersten Stock sollte aus zwei Räumen ein einziger werden, mit dünnem Bleistift hatte sie hingekritzelt: Tagungen, Vereine oder Seniorenclub . Wie bitte? Wo sollte ich, die Besitzerin dieser Villa, denn unterkommen? Sollte ich am Ende in ein Altersheim verfrachtet werden und mein schönes Haus einem kriminellen Paar überlassen?
Nun begann ich doch, aufgeregt Judiths Papiere zu durchsuchen. Als Erstes fand ich die Kopie eines Maklerbriefes, bei dem es um den geplanten Verkauf meines zweiten Hauses in der Lützelsachsener Straße ging. Diesen Besitz hatte ich bisher vor Judith verheimlicht, doch anscheinend wusste sie genau Bescheid. Es hätte mir ja eigentlich auffallen müssen, dass sie nie mehr die
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