Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haben Sie das von Georgia gehoert

Haben Sie das von Georgia gehoert

Titel: Haben Sie das von Georgia gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Childress
Vom Netzwerk:
hätte, wäre es eine Schlange gewesen. Sie liebte ihre Mutter, doch wenn sie sich fragte, aus welchem Grund, bekam sie nur Kopfschmerzen. Sie wünschte Little Mama ein glückliches und langes Leben, aber insgeheim hoffte sie, es würde sich nicht endlos in die Länge ziehen wie bei manchen Müttern. Auch wenn du sie liebst, willst du ja nicht, dass sie ewig herumhängen, oder?
    Und Little Mama war eine schreckliche Patientin. Nichts konnte man ihr recht machen. Früher hatte sie immer gesagt: »Wenn ich mal alt werde, bringst du mich hoffentlich hinaus in den Wald und erschießt mich.«
    In letzter Zeit sagte sie das nicht mehr. Wahrscheinlich hat sie Angst, ich nehme sie beim Wort, dachte Georgia grimmig.
    Na ja, das gehört eben alles zum Ameisenverband: Jeder arbeitet zum Wohl des Ameisenhügels. Die starke Ameise hilft der schwachen, die Tochterameise hilft der Mutterameise und der Bruderameise. Die Tochterameise gibt und gibt, von morgens bis abends, sie rackert und rackert und rackert,
bis sie so erschöpft ist, dass sie den Krümel fallen lässt. Und dann hebt eine andere Ameise ihn auf und schleppt ihn in den Bau. Das ist der Lauf der Welt!
    Georgia drehte die Dusche so heiß, wie sie es ertragen konnte, damit sie eine leuchtende und warme Haut bekam. Sie schäumte sich am ganzen Körper mit Rosenmilch ein und wusch sich das Haar dreimal mit Shampoo, Conditioner und Spülung, bevor sie es abtrocknete, ausbürstete und mit einer Seidenschleife zurückband. Sie strich Öle und Lotionen auf ihre Haut, Ellbogencreme, glättende Salbe für die Knie. Sie goss sich eine kleine Pfütze Eau de Toilette in die hohle Hand, benetzte zwei Finger damit und malte einen doppelten Streifen Lavendelduft von der Ferse über die Wade bis zur Kniekehle. Dann fuhr sie an ihrem Rippenbogen entlang, zwischen ihren Brüsten hinauf und bis in den Nacken.
    Als sie noch besser duftete, als Gott sie geschaffen hatte, schlüpfte sie in das pfirsichfarbene Leinenhemd mit den Sträußchen aus winzigen Chiffonrosen am Mieder. Um die Hüften legte sie einen kurzen, festonierten Petticoat aus cremefarbenem Flanell; darüber kam ein längerer aus gestärkter weißer Baumwolle, und dann ein dritter und ein vierter Petticoat. Über alle diese Lagen zog sie einen Hausmantel aus Satin – im gleichen Pfirsichton wie das Hemd – mit einem bestickten Gürtel aus Seidensamt und dazu passende Pantoffeln.
    Diese Kleider waren ein Geschenk des Mannes, der sie ihr gleich wieder ausziehen würde. Er hatte das komplette Ensemble in drei verschiedenen Farben für sie bestellt – in Pfirsich, in Creme und in einem zarten, rosigen Pink –, und zwar im Superstore der Bürgerkriegs-Reenactment-Clubs
in Myrtle Beach. Vielleicht würde er sie heute Abend nicht vollständig ausziehen. An manchen Abenden spielte er das Spiel gern nur zum Teil. An manchen Abenden machte der Whiskey ihn schläfrig, und dann döste er in seinem Sessel ein, während sie ihm die Schultern massierte. Oder er fing an, sie behutsam zu entkleiden, Schicht für Schicht, aber dann schlief er ein, bevor er die bloße Haut erreichte.
    Georgia huschte vor dem Spiegel hin und her und schwang ihre Röcke wie eine Glocke. Sie liebte das Rascheln der steifen Baumwolle an ihren Beinen, und wenn der Richter nicht schläfrig war, konnte er regelrecht kess werden.
    Sie warf einen Blick auf die Uhr und lief eilig die Treppe hinunter. Whizzy kam auf klickenden Krallen durch den Flur, um sie zu begrüßen.
    »Mama, brauchst du noch etwas? Ich will jetzt oben an meinem Quilt arbeiten.« Georgia hatte immer sehr darauf geachtet, ihre Kostüme nicht außerhalb des Apartments zu tragen, aber in letzter Zeit bekam Mama ja kaum noch mit, ob es Tag oder Nacht war.
    »Wie geht’s denn mit dem neuen, Baby?«
    »Er wird schön.« Georgia ging weiter durch den Flur. »Du wirst begeistert sein, wenn du die Farben siehst.«
    »Hast du mir mein Mentholatum mitgebracht?«
    »Es steht rechts neben dir.« Georgia hielt den herumwuselnden Hund mit dem Fuß im Haus, während der Luftkolben des Türschließers leise zischte und die Tür sich schloss. Sie wusste, es war riskant, ihre Mutter so sitzen zu lassen. Eines Tages würde sie zurückkommen, und Mama säße tot in diesem Sessel. O Gott, was für ein schlechtes Gewissen sie dann haben würde!
    Aber es würde nur einen oder zwei Tage anhalten, und dafür
hatte sie Little Mama schon jahrelang so sitzen gelassen. Alles in allem ein faires Geschäft.
    Ungefähr

Weitere Kostenlose Bücher