Haben Sie das von Georgia gehoert
der Kundschafter, der Fahrer des Fluchtwagens.
Bin ich der Hüter meines Bruders? Im Leben nicht.
Georgia musste sich auf das Wichtige konzentrieren. Es war der Sonntagabend vor dem Dienstagslunch, und sie hatte kein Wachspapier mehr. Aber ohne Wachspapier konnte man keine Chow-Mein-Nudel-Kekse zubereiten.
Sie hatte keine Lust, wegen eines einzigen Artikels den weiten Weg zu Hull’s zu machen; also fuhr sie über die Gleise hinter dem Wasserturm zum Kwik-K Mart, obwohl sie wusste, dass sie dort das Doppelte bezahlen würde. Aber dann gab es im Kwik-K kein Wachspapier, und sie musste trotzdem zu Hull’s. Es wäre eine komplett vergeudete Stunde gewesen, wenn sie nicht durch die Camelia Street in die Stadt zurückgekommen wäre und Krystals braunen Taurus auf seinem Parkplatz hinter der City Hall gesehen hätte. Georgia parkte den Civic daneben. Zwanzig Minuten mit Krystal waren so gut wie zwei Stunden mit irgendjemandem sonst.
»Mädel, komm ja nicht rein und stiehl mir die Zeit«, krähte Krystal, als sie sie sah. »Du weißt, dass ein paar von uns Kulis für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.«
»Das nennst du arbeiten?«, fragte Georgia. »Wie oft hast du heute schon bei Solitär gewonnen?«
Rhonda Peavey blickte von ihrem Schreibtisch neben Krystals Tür auf und lächelte. »Ja, hey, Georgia! Sie sehen aber gut aus!«
»Danke, Rhonda. Ich kann nicht glauben, dass sie Sie an einem Sonntagabend herschleift, damit Sie ihr beim Solitär zuschauen.«
»Ich spiele nicht Solitär!« Krystal stand hinter dem riesigen Bürgermeisterschreibtisch aus Kirschholz auf und breitete die Arme aus, um Georgia herzlich an sich zu drücken. »Ich bin seit der Kirche hier und erledige wichtige Geschäfte für das Volk. Und da kommst du hereingetanzt und willst mich durcheinanderbringen.« Krystal ging zur Methodistenkirche, wie ihre Familie es immer schon getan hatte. »Mmmm, du riechst so gut, wie du aussiehst. Was ist das – Calvin Klein?«
Georgia ließ sich auf einen Lehnstuhl sinken. »Sag nicht, dass du Chanel No. 5 nicht erkennst.«
»Das ist kein Chanel nicht«, sagte Krystal. »Zu fruchtig.«
»Was du da riechst, ist mein Kaugummi. Juicy Fruit. Und sag nicht ›kein Chanel nicht‹. Du klingst dann wie ein Landei.«
»Ich bin ein Landei, und es ist mir wirklich scheißegal, wer das weiß.« Krystal hatte eine Figur wie ein Fass: breit, rund, klein. Zweimal im Jahr kam sie mit einer neuen Ladung von kurzen Bürgermeisterinnenjacken und industrietauglichen Wollkostümen von Dillard’s aus Montgomery zurück. Das Dasein als kleine, korpulente Bürgermeisterin im unteren Alabama war auf alle Fälle eine modische Herausforderung. Gelegentlich versuchte Georgia ihr Vorschläge zu machen und ihren Look mit einem Tuch oder einer bunten Bluse aufzuhellen, aber genauso gut hätte man versuchen können, ein Schlachtschiff mit einer Feder zu schmücken. Und Krystal war mit diesem Aussehen ja auch dreimal wiedergewählt worden. Daran noch etwas zu ändern wäre sinnlos.
Durch die Tür sah Georgia, wie Rhonda so tat, als heftete
sie ein Blatt Papier ab, während sie sich kein Wort des Gesprächs entgehen ließ. Georgia warf Krystal einen Blick zu: Können wir die Tür schließen?
Krystal hielt eine gewölbte Hand hinter das Ohr und antwortete pantomimisch: Wenn wir das tun, lauscht sie durch das Schlüsselloch. Die beiden waren so alte Freundinnen, dass sie keine Worte brauchten, um sich zu verständigen.
Krystal räusperte sich. »Rhonda, könnten Sie wohl schnell ins Büro des Richters springen und nachsehen, ob Shelley die Verfügung schon hat?«
»Sie hatte sie noch nicht, als ich vor zehn Minuten mit ihr gesprochen habe«, antwortete Rhonda.
»Aber vielleicht hat sie sie jetzt. Seien Sie so nett, laufen Sie rüber, und warten Sie darauf, ja, Ma’am?« Ein weiblicher Bürgermeister musste fünfmal höflicher sein als jeder andere, dachte Georgia. Sogar zu Untergebenen.
»Weißt du nicht, dass nur die Sünder am Sonntag arbeiten?« , fragte Georgia.
Das sei alles nur Richter Barnetts Schuld, erklärte Krystal. Dieser verdammte, nach Knoblauch stinkende alte Dinosaurier. Er hatte nachts und an den Wochenenden gearbeitet, um Krystals Eingemeindungsplan zu vereiteln. Jetzt erwartete sie eine Kopie seiner letzten Verfügung, damit der Justiziar der Stadt seinen Einspruch einlegen könnte. Die ganze Sache war so kompliziert, dass Georgia von Grundsteuerhebesatzgefälle und periodischen
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