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Haben Sie das von Georgia gehoert

Haben Sie das von Georgia gehoert

Titel: Haben Sie das von Georgia gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Childress
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den Hals und spähte gen Himmel. Dann fuhr sie mit quietschenden Reifen davon. Lily Jane und Jean winkten noch einmal zum Abschied, bevor sie abfuhren.
    Georgias Gesicht glühte rot, und ihre Hände zitterten. Sie atmete tief ein und wieder aus und zwang sich, dies ein paarmal zu wiederholen: Jetzt beruhige dich. Du bist nicht die Einzige, der etwas passiert ist.
    Im Fernsehen war die Rede von Tausenden Toten. Vielleicht zwanzig-, vielleicht fünfzigtausend. Eigentlich waren die Zahlen zu groß, um wirklich darüber nachzudenken. Georgia konnte sich so viele Leute auf einmal nicht vorstellen.
    Aber es waren ja auch Fremde, Yankees, die sie nichts angingen. Wieso behandelte man sie anders als alle anderen Toten in den Nachrichten? Hunderttausend bei einem Taifun in Bangladesch. Eine Million bei einer Hungersnot in Afrika. Solche Zahlen konnte man nicht begreifen.
    Georgia dachte immer wieder an die Stapel von Sandwiches, an die geschichteten Salate, die an den Rändern durchweichten, an das Limettensorbet, das in der Bowle
zerschmolz, und das kleine Vermögen in Form von Hummerfleisch, das im Licht der Spots allmählich warm wurde.
    Die Welt geriet außer Kontrolle, und was konnte Georgia tun? Nichts. Kriege und heimtückische Angriffe waren etwas, das im Kino passierte, in der Vergangenheit, in Little Mamas Generation – nicht heute bei all unseren modernen Erfindungen, bei den Vereinten Nationen, schnurlosen Telefonen und Scheibenwischern, die selbst wussten, wann es regnete. Wer hatte erlaubt, dass so etwas passierte? Georgia hatte den Verdacht, dass der dreizehnte Präsident ein bisschen dämlich war. Nach dem Gesicht zu urteilen, das er jetzt im Fernsehen machte – er guckte wie ein verängstigtes Kaninchen –, hatte er nicht die leiseste Ahnung, was er als Nächstes tun sollte.
    »Können wir das bitte ausmachen, Mama? Der Mann geht mir auf die Nerven.«
    »Von mir aus. Er sagt sowieso nicht, wer es in Wirklichkeit getan hat. Du weißt, wer das war.«
    »Rosa Parks?«, fragte Georgia.
    Little Mama verzog das Gesicht. »Das hab ich nicht gesagt. Aber dir ist klar, dass es kein Weißer war.«
    Mama hatte Glück. Was auch passierte, sie brauchte nie darüber nachzudenken. Sie wusste ganz automatisch, wer schuld war.
    Georgia drückte auf die POWER-Taste. Stille erfüllte das Haus.
    Das Geplapper der Fernsehsprecher war besser. Georgia schaltete den Fernseher wieder ein und drehte die Lautstärke halb herunter. Wenn das Ende der Welt bevorstand, wollte sie wenigstens kurz vorher Bescheid wissen.

6
    Georgia packte das Essen in Kartons, Kühlboxen und Tupperware und trug alles ins Auto. In einem Rubbermaid-Container machte sie ein frisches Eisbett für die Lobster Scallion Shooters. Das leise Klirren der Kerzengläser klang wie bei der Kommunion in der Kirche, wenn das Tablett mit den Traubensaftgläschen herumgereicht wurde.
    Als sie gerade mit der letzten Ladung zum Wagen gehen wollte, kam Brother in die Küche gewankt, verkatert und ohne Hemd. In New York und in Washington sei etwas Schlimmes passiert, erzählte sie ihm, und es sei jetzt seine Pflicht, zu Hause zu bleiben und auf Mama aufzupassen. Falls er noch Fragen habe, solle er fernsehen.
    Er sah ihren Gesichtsausdruck, und ausnahmsweise widersprach er nicht.
    Georgia fuhr im Kreis einmal um den Platz vor dem Gericht. Kaum ein Auto war unterwegs und kein einziger Fußgänger. Six Points wirkte stiller als am stillsten Sonntagmorgen. Es sah aus wie eine Szene aus einem Film über das Ende der Welt.
    Sie fuhr über die Maple Street und am Krankenhaus vorbei zum Sycamore Pointe Senior Life Village. Das war das Altenheim Six Points mit einem neuen Schild.
    Georgia hatte sich eifrig um ein freundschaftliches Verhältnis zu Sharon Overby bemüht, die das Haus führte, denn es konnte ja sein, dass sie Little Mama irgendwann schnell dort unterbringen müsste. Sharon gehörte zu den Leuten, die meist zu Georgias Lunch kamen, sich aber selten die Mühe machten, vorher auf die Einladung zu reagieren. Kaum hatte sie Georgia erblickt, fing sie an, sich zu entschuldigen.
»Ach du liebe Zeit, Georgia! Ich wollte noch anrufen, aber wir hatten so viel zu tun. Die Bewohner waren alle so aufgeregt heute Morgen; das können Sie sich ja vorstellen. Wir mussten die Fernseher abschalten und ihnen die Fernbedienungen wegnehmen.«
    »Deshalb bin ich nicht hier.« Georgia stellte ihren Eiscontainer ab. »Mein Auto ist bis unters Dach voll mit Essen für den Lunch. Wenn Sie

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