Haben Sie das von Georgia gehoert
musste eine ganze Bootsladung Malt Whiskey dran glauben – nach den Flaschen zu urteilen, die am nächsten Morgen herumstanden. Dazu Al Green und die Staple Singers aus der Stereoanlage, laut. Und immer lief der Fernseher. Für Georgia war es echter Sozialkundeunterricht über das Leben der Menschen.
Aber dass Ree sie aufgenommen hatte, war anständig von ihr. Sie verlangte nie etwas dafür, nicht einen Cent. Und gegen Georgias bedrohlich gewölbten Bauch hatte sie anscheinend auch nichts. Wenn Georgia über Kreuzschmerzen klagte, massierte Ree ihr den Rücken. Als die Schwangerschaftsstreifen erschienen, besorgte Ree eine spezielle Creme und sagte, davon würden sie weggehen. Das taten sie nicht, aber es war trotzdem nett von ihr.
Georgia entband zwei Wochen vor Weihnachten in der County-Klinik, mitten in der Nacht. Alle waren sehr freundlich, bis das Baby herauskam. Georgia sah, wie eine der Schwestern das Gesicht verzog. Vielleicht war die Frau auf den Anblick eines schwarzen Kindes nicht vorbereitet – obwohl es gar nicht richtig schwarz war, sondern eine Art Zwischenton hatte, ein goldenes Eichenholzbraun.
Aber der Ausdruck des Abscheus im Gesicht der Schwester verfolgte Georgia. Als wäre sie durch das, was da aus ihr herausgekommen war, plötzlich ein geringerer Mensch.
So mussten die Schwarzen sich jeden Tag fühlen.
Sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass es ein Junge werden würde, und es war einer. Die Hebamme fragte sie, ob sie ihn halten wolle. Georgia weinte, und das Baby ebenfalls. Es klang rau und dünn, und Georgia hatte Angst, es in den Arm zu nehmen. Wenn sie es je in die Hände bekäme, würde sie es vielleicht nie mehr loslassen. Also sagte sie: »Nein danke.«
In all den Jahren seitdem war es das, was sie am meisten bereute. Sie wünschte, sie hätte ihn nur für einen Augenblick in den Armen gehalten, bevor sie ihn wegbrachten. Vielleicht, dachte sie, würde sie noch einmal Gelegenheit dazu bekommen, aber sie hatte ihn nie wiedergesehen.
Zwei Tage später fuhr sie mit dem Bus zurück nach Six Points. Auf der Fahrt nach Alabama starrte sie die ganze Zeit die steigenden und fallenden Linien der Stromleitungen an, die aussahen wie eine grafische Darstellung ihrer Stimmung. Sie schmiedete detaillierte Pläne, die ihr helfen sollten, in Zukunft nicht wieder in Schwierigkeiten zu geraten.
Sie zog ihren Rollenkoffer von der Bushaltestelle nach Hause in die Magnolia Street, und niemand auf der Straße erkannte sie, weil sie nach der Schwangerschaft so rundlich wirkte.
Little Mama freute sich, sie zu sehen, und darüber waren sie beide überrascht. Georgia blieb im Haus, bis sie den Schwangerschaftsspeck weggehungert hatte. Sie beantwortete einen Stapel Briefe von Krystal, die bei einer Tante in Birmingham wohnte und im Kaufhaus Pizitz an der Kosmetiktheke arbeitete.
»Alle sagen, ich sehe so gut erholt aus«, schrieb Georgia. »Muss an der Gebirgsluft in Carolina liegen.«
Zwei Jahre später gerieten Skiffs Eltern draußen auf der State Road 47 unter einen Holzlaster. Nicht lange danach wurde Skiff das erste Mal verhaftet. Georgia konnte niemandem erzählen, wie sehr sie das bedrückte. Nicht, dass sie daran gedacht hätte, zu Skiff zurückzukehren, aber sie hatte ihn mehr geliebt als jeden anderen Freund vor ihm. Als sie sich kennenlernten, hatte er in einer warmherzigen und liebevollen Familie gelebt – doch jetzt waren sie alle
weg. War das Georgias Schuld? War sie ein Unglücksbringer?
Ree schrieb ihr, dass niemand das Baby adoptieren wolle, weil es war, wie es war – was für eine Überraschung! –, und deshalb habe sie beschlossen, es zu behalten. Sie nannte den Jungen Nathan, nach Georgias Lieblingslied in jenem Sommer, und sagte, sie werde nach New Orleans zu ihrer Mutter ziehen, die versprochen habe, ihr mit dem Kind zu helfen.
Ree fragte nie nach Geld, aber Georgia kannte ihre Verantwortung. Als sie den Brief bekommen hatte, ging sie noch am selben Tag in die Stadt und fand ihren ersten Job an der Kasse im Planters’ Mercantile, sodass sie jeden Monat Geld schicken konnte.
Das war jetzt zwanzig Jahre her. Am vierten Samstag jedes Monats überwies sie so viel, wie sie entbehren konnte, nach New Orleans. Dafür verlangte sie nur, dass es keinen Kontakt gab.
Eine traurige Vorstellung, dass Ree im Gefängnis saß. Sie war ja keine schlechte Frau, aber sie hatte einen Hang zu üblen Männern. Und jetzt brauchte ihre arme alte Mutter Hilfe. Da muss ich eine Möglichkeit
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