Haben Sie das von Georgia gehoert
hören.«
Er verschränkte die Arme anders herum und legte einen Fußknöchel über den andern. Er war ein großer, gut aussehender junger Mann – schrecklich jung, sah Georgia, als sie näher kam. Ein Junge mit einem hübschen Gesicht.
Sie ließ das Fenster herunter. »Kann ich dir helfen?«
Er starrte sie nur an.
»Hallo?«, fragte Georgia. »Hast du versucht, in unser Haus einzubrechen?«
Er sagte kein Wort. Er trug einen übergroßen schwarzen Anorak mit vollständig geschlossenem Reißverschluss (bei dieser Hitze!), weite, übergroße Basketballshorts aus glänzendem Polyester und die größten Sneakers, die Georgia je gesehen hatte, riesenhafte schwarze Kähne mit einem weißen Streifen, passend zu dem Streifen an seinen Jackenärmeln. Die Beine des Jungen steckten wie dünne Röhren in diesen Schuhen. Über der Schulter hing ein schwarzer Nylonrucksack.
Georgia hatte gerade beschlossen, jetzt doch Angst zu haben, als er »Nein« sagte. Seine sanfte, trockene Stimme klang überhaupt nicht furchterregend.
»Okay.« Sie stieg aus. »Was können wir für dich tun?«
»Binnay«, sagte er.
»Was?«
»Binnay. ’s Na’walyins.«
Nachdem es ein paarmal so hin und her gegangen war, bat sie ihn, nicht so zu sprechen, als hätte er den Mund voll Murmeln. Er versuchte es noch einmal, und jetzt verstand sie: »Ich bin Nate aus New Orleans.«
»Nate? Ich kenne keinen Nate.«
»Nathan«, sagte der Junge.
»Nathan? Du meinst … du bist … ?«
Ihr war, als wäre sie rückwärts umgekippt. Aber sie stand immer noch aufrecht.
Kein Wunder, dass sie ihn hübsch gefunden hatte. Sieh dir das Gesicht an! Das war ihr Gesicht, vermischt mit dem von Skiff.
Es war ein völlig verrücktes Gefühl – als schaute sie in den Spiegel und sähe zwei Gesichter, die sich überlagerten.
Du lieber Gott, das war ihr Sohn.
Ihr eigen Fleisch und Blut – ihr schwarzer Sohn stand da mit verschränkten Armen, den einen Mundwinkel skeptisch nach oben gekrümmt.
Ein breites Lächeln trat auf ihr Gesicht. »Ja, hey, Nathan!«
Sie sollte eigentlich die Arme ausbreiten und ihn an sich drücken – aber wie konnte sie das tun, wenn Little Mama sie vom Auto aus beobachtete?
Innerlich starb sie. Innerlich schrie sie: Nein! Aber sie wollte nicht, dass er glaubte, sie freue sich nicht, ihn zu sehen.
»Du musst Hunger haben«, sagte sie.
Seine Augen erwachten zum Leben.
»Dein Glück, dass ich kochen kann«, meinte Georgia. »Komm herein in dieses Haus.«
Einen Moment lang war sie so schockiert gewesen, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte. Aber jetzt wusste sie es. Sie musste ihm etwas zu essen und ein Bett für die Nacht geben und ihn dann in den nächsten Bus zurück nach New Orleans setzen. Little Mama würde sich nicht lange an ihn erinnern, und niemand sonst brauchte je etwas darüber zu erfahren.
15
Es dauerte zehn Minuten, Little Mama aus dem Wagen ins Haus zu locken. Mit einem unheilvollen Blick auf den großen schwarzen Jungen, der da über den Küchentisch gebeugt saß, knurrte sie: »Im ganzen Leben nicht!«, und flüchtete sich in ihr Zimmer.
Nathan blickte kaum auf. Er war voll und ganz in die erste Runde Essen vertieft. Georgia erinnerte sich, dass Eugenia sich über seinen Appetit beklagt hatte. Die alte Dame hatte allenfalls untertrieben.
Georgia ging unterdessen nach oben zu Little Mama, um ihr von ihrer alten Highschool-Freundin Dorothy Blanchard zu erzählen, die sie auf der Treppe erfand. Die arme Dorothy war vor Kurzem gestorben, erzählte sie, und zwar eines sehr betrüblichen natürlichen Todes, und das hier sei ihr Sohn Nathan, der nach Six Points gekommen war, um sich einen Job zu suchen.
»Ich kann nicht glauben, dass du einen Nigger am Tisch sitzen lässt«, sagte Little Mama. »Anscheinend weißt du nicht mehr, wem dieser Tisch gehört.«
»Sprich dieses Wort nicht aus«, fuhr Georgia sie an. »Wenn du nicht höflich reden kannst, bleibst du in deinem Zimmer, bis du es gelernt hast.«
Genau das hatte Mama immer gesagt, wenn Georgia Wörter wie »verdammt« oder »Scheiße« benutzte. Wenn du nicht höflich reden kannst … Dass sie das Gleiche jetzt zu ihrer Mutter sagte, machte sie traurig. Und müde. Irgendwie hatte sie sich, ohne es zu bemerken oder zu wollen, in ihre Mutter verwandelt.
Nein, schlimmer: in die Mutter ihrer Mutter.
»Hmp!« Little Mama verschränkte die Arme. »Du kannst nicht mal warten, bis ich tot bin, bevor du Nigger frei im Haus herumlaufen lässt.
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