Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Reichspräsidentenwahl, dann der 2. Wahlgang, wo Hindenburg mit den Linken gewählt wurde, dann Ende April die preußischen Landtagswahlen, im Juli die Reichstagswahl, und dann im November. Da war doch diese Papengeschichte, wo der das Blatt schon in der Hand hatte und Göring ihn nicht reden ließ.
Wir hörten das damals im Rundfunk, ein Siemensgerät. Vorher Detektor.
Arzt, 1921
1930.– Als ganz kleiner Dutz hab’ ich Hindenburg mal gesehen, in Bochum. Ich kann mich an den weißen Stiftekopf erinnern, im Auto, als er vorbeifuhr.
Eine Frau
Die Vor-Nazi-Zeit in Köln:
Lesen, lesen, lesen: Thomas Manns Zauberberg, Wiechert, Hamsun, Dostojewski, Tolstoi, Carossa, Hesse.
Tanzen: Jazz, Duke Ellington oder Walzer mit Leidenschaft. Tango ungern, mit alten Herren.
Dreigroschenoper-Songs auswendig singen.
In Gürzenich-Symphoniekonzerte gehen, der Schülerplatz kostete 1 RM . Als einmal ein Hindemith-Konzert ausgepfiffen wurde, » Hundemist«, brüllten wir Beifall.
Am Reformationstag zur Kirche gehen.
Im Kunstverein auf dem Friesenplatz neue Malerei: die Brücke-Maler, die Bauhaus-Maler.
Für Marlene Dietrich und Lilian Harvey schwärmen.
Geld war zwar knapp, aber vorhanden.
Wir lasen keine politischen Leitartikel und keine Börsenberichte.
Wir unterschieden nicht zwischen Juden und Nichtjuden in der Wahl unserer Freunde.
Niemand war in einer politischen Partei, niemand ging zu einer Wahlversammlung.
Wir spotteten über Mitschülerinnen in Beiderwandkleidern mit kupfernem Haarreif (Jugendbewegung!).
Lektor, 1916
Eine groteske Sache ist mir mal im Gymnasium passiert, 1932. Der Sohn von einem Maler, ein Blödkopf, dummer Kerl mit abstehenden Ohren, der war Nazi, sein Vater nicht.– Dieser Junge kam einmal zu spät und entschuldigte sich wegen » häuslichen Terrors«. Wir haben laut gelacht.
Pressezeichner, 1920
Der erste Film, den ich gesehen habe, war » Die Nibelungen«, in der Aula unserer Schule. Die Bachszene mit dem Blatt, sehr viel Laub und Sonnenlicht überall.
Regisseur, 1927
In Liegnitz… da muß ich 5 gewesen sein. Da bin ich, um Geld zu verdienen, mit einem SA -Mann, der Motorrad fuhr– der saß breitbeinig auf seinem Motorrad–, hinten auf dem Motorrad zum Versammlungslokal der SA gefahren und habe dort sogenannte Dreierstückchen für 5 Pfennig verkauft und hab mir damit mein erstes Taschengeld verdient.
Ich denk’ immer noch an den riesigen Arsch von dem SA -Mann vor mir. Und ich klammerte mich fest.
Oberstudiendirektor, 1921
In unmittelbarer Nähe von unsrer Wohnung (in Berlin) lag ein SA -Sturmlokal. Das war eine etwas zurückliegende Gastwirtschaft mit kleinem Garten davor. » Die Ameise« hieß es. Für uns Kinder war es bei den Wahlen immer sehr interessant, da hielten wir uns immer in der Nähe auf, weil wir dachten: Da passiert was. Ich erinnere mich noch an das Vorbeifahren von Kommunisten auf einem Lastwagen und an das gegenseitige Anbrüllen. Die Kommunisten warfen Flugblätter. Und als sie noch einmal vorbeifuhren, hatte die SA diese Flugblätter inzwischen eingesammelt und im Vorgarten des Sturmlokals aufgeschichtet und angezündet.
Zu derselben Zeit standen wir mit unseren Eltern mal abends um 11 Uhr auf dem Innsbrucker Platz in Friedenau, da hielten die Straßenbahnen; wir standen auf der Insel und warteten, und gar nicht weit von uns standen ein paar Männer. Unauffällig und plötzlich kamen andere Männer und prügelten mit Totschlägern auf die ein. Die einen waren SA -Männer, die andern Kommunisten. Aber wer was war, konnte ich nicht mitkriegen.
Grafiker, 1920
Am 1. Mai durften wir nicht draußen spielen. » Straße frei zum 1 . Mai!«, hatten die Kommunisten an die Wände gepinselt. Mutti war ängstlich.– Schlägereien hab ich aber nie erlebt. Ab und zu fuhr mal ein kleiner Lastwagen durch Wilmersdorf, mit singenden Leuten, aber sonst war’s nicht weiter schlimm.
Journalist
1932 war ich in einer Versammlung, wo ich mir Goebbels anhörte, in Friedenau war das, in einem Bezirksraum sozusagen, weil ich den gern mal sehen wollte– das war theatralisch aufgezogen, ebenso imponierend wie ekelerregend, das war 1932, in der sogenannten Kampfzeit.
Kameramann
1932.– Mit 16 Jahren war ich schon im Stahlhelm. Wir haben uns noch echt mit den Kommunisten rumgekloppt. Mit einem graugestrichenen Fahrrad und schwarz-weiß-rotem Wimpel bin ich durch Barmbek gefahren. Im Stiefel hatte ich einen Totschläger, einen Mahagonistock.
Rundfunkredakteur, 1924
Mein
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