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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Vater war ein strammer Deutsch-Nationaler. Als Österreicher in Deutschland lebend. Er hatte das Bedürfnis, sich den Deutsch-Nationalen zu nähern, und das war damals der Stahlhelm. Und da wurde ich dann in den » Scharnhorst« gesteckt. Das war eine Jugendorganisation im Stahlhelm. Da wurden auch schon richtige paramilitärische Übungen dauernd gespielt. Da wurden Nachtübungen gehalten, und Keulenwerfen war da und Hindernisrennen. Und nachts wurden Patrouillengänge gemacht. Feindbeobachtungen und -überrumpelungen. Und ich wurde mal versteckt, als ausgesetztes Kind, das sollte gesucht werden. Ich sollte mich ganz still verhalten. In irgend so einen Dornbusch haben sie mich reingesteckt. Und das war finster, und ich hatte solchen Schiß!
    Pressezeichner, 1920
    Der Geruch von nassem Wald und nassen Klamotten und nassem Stroh, bei den Pfadfindern, wenn wir da einen Ausflug machten. Oder dieser idiotische Geschmack von Grießbrei, am offnen Feuer gekocht, wo noch das Feuer den Geschmack mit abgab.
    Ein Mann, 1927
    1932.– Es wurde geschossen. Ich hör’ das noch. In Kiel.
    Bibliothekarin, 1922
    Ich bin auf der Kavalleriestraße in Düsseldorf Rollschuh g ’ laufen. Da hörte ich Schüsse und lief angstvoll zu meiner Freundin rein.
    Krankenschwester, 1907
    1932.– Am 20. April hatte Adolf Hitler Geburtstag, und er hatte an diesem Tag seinen großen Auftritt in Marburg. Den ganzen Nachmittag marschierte die SA mit Fahnen und singend durch die Stadt. Ich putzte die Praxisräume von Herrn Geheimrat, schaute dabei aber öfter mal zum Fenster hinaus und stellte den Bohnerbesen an den Schreibtisch. Da gab es hinter mir einen Donner. Der Besen, die wunderschöne Kristallvase und der Fliederstrauß, den Herr Geheimrat tags zuvor von den Schwestern zu seinem Geburtstag erhalten hatte, lagen am Boden. Vase kaputt, und mir fiel mein Herz in die Schuhe. Alles, was wir zerbrachen, mußten wir ersetzen. Wo sollte ich das Geld dazu hernehmen? Schwester Gustel tröstete mich, holte eine Vase von früher aus dem Schrank, und meinte, der Herr Geheimrat würde das überhaupt nicht merken.
    Die Ärzte und Schwestern zeigten wenig Interesse an Hitler. Schwester Annette gab auch uns Schülerinnen nicht frei. Mein Mann war in Dillenburg arbeitslos geworden und war daher mit einigen anderen Männern per Rad nach Marburg gekommen. Nicht als Anhänger, sondern aus Neugierde. Wir haben im Sommer die Christliche Partei gewählt. Auf dem langen Wahlzettel standen damals ungefähr zwei Dutzend Parteien.
    Fotograf, 1922
    1932 hatte doch der Gauleiter von Ostpreußen noch kein Auto gehabt! Da war eine Wahlkampagne, und mein Vater, zu dem kamen sie dann. Einen 1030er Benz hatte der, offen, den liehen sie sich, aber einen Chauffeur wollten sie nicht, den haben sie selbst genommen. Die Kulissenschaltung war aber schon innen. Und mit dem fuhr Hitler dann die Stationen ab. Da gibt es noch ein Bild. Hitler in unserm Auto.

3
    Schlagerkomponist
    Es war gar nicht so aufregend, wie Sie sich das vorstellen. Es war nicht einmal so aufregend wie der Wechsel Schmidt/Kohl. Man hat das nicht so für voll genommen. Der Marsch durchs Brandenburger Tor, man hat sich noch nicht so dafür interessiert.
    Schauspieler
    Der 30. Januar hauchte oder rauschte mehr oder minder an uns vorbei, man entnahm es aus der Presse, man sah es auch dann in den Wochenschauen. Diese flammende Schlange, die da durchs Brandenburger Tor zog: Das ist für mich der 30. Januar und dann noch der Hitler und Hindenburg in den Fenstern, unten die tobenden Massen, das hat man gesehen, und dann ist es in einem wieder ausgeklungen. Man hat sich eigentlich nicht weiter damit beschäftigt, wir haben das zur Kenntnis genommen, der eine mehr oder minder besorgt, aber der Alltag ging darüber hinweg.
    Molkereimeister, 1922
    Wir haben uns gefreut, daß es soweit war. Ich war ja schon vor 33 beim Jungvolk. Ich habe immer schon zu meinen Eltern gesagt: Wählt Liste 2, das waren die Nazis. Aber das haben die nicht gemacht.
    Ein Mann, 1924
    30. Januar 1933.– Weil mein Nennonkel aus München zu Besuch war, hab’ ich eine gute Erinnerung an diesen Tag. Er wohnte in Berlin im Kaiserhof und lud uns an dem Tag grad’ ein. Abends sah ich dann von dort aus den Fackelzug, ein unauslöschlicher Eindruck.
    Hinterher fuhren wir mit einem alten Bus nach Hause, da ging man so hinten die Wendeltreppe hoch, und auf der Straße lagen all die abgebrannten Fackeln.
    Rektor, 1905
    Am 30. Januar 1933 sah ich ihn am

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