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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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1912
    Mein Onkel wohnte in Pommern, der hatte Herdbuchvieh, und nach dem 30. Januar 1933 hat er alle braunen Hühner erschossen. So was ging damals noch.
    Arzt, 1911
    Einen Eindruck hab’ ich gehabt, 1933 oder so, der zeigt auch wieder mal, wie die einzelnen Menschen den Umschwung gesehen haben. Ich bin Arzt und habe in Berlin studiert. Der Anatom war ein alter Herr, der sehr schwerhörig war. Und eines Tages war da überall geflaggt, das muß kurz nach dem Umschwung gewesen sein, und zwar die Hakenkreuzfahne und die schwarz-weiß-rote. Hitler sollte kommen, daher die Fahnen und der Schmuck. Und der Anatom geht vor mir her, und der geht auf einen SA -Mann zu, schlägt ihm auf die Schulter: » Daß Ihr Führer mir die Freude gemacht hat, daß ich die schwarz-weiß-rote Fahne noch mal seh’…«
    Versicherungsmakler, 1901
    In Kempten war das. Da stand ich in Kempten, zufällig, mit einem Glasermeister neben mir. Da wollte Hitler in der Tierzuchthalle sprechen. Und da fuhr er halt im Auto vorbei. Da sieht man nicht viel. Jedenfalls, mein Nachbar, der hat dann so etwas abfällige Bemerkungen gemacht. Und da hat’s noch eine kleine Auseinandersetzung gegeben. Ich weiß nicht, was das für Leute waren: Parteiangehörige oder Parteigenossen oder so. Aber es ging friedlich weiter.
    Ich hab’ ihn eben nur vorbeifahren sehen. Ich sehe schlecht, und deshalb, wenn jemand im Auto an mir vorbeifährt, dann kann ich ihn nicht richtig erkennen.
    Buchhändler, 1919
    5. März 1933.– Da war noch eine Wahl, und die Kommunisten kamen aus ganz Oberschwaben in Biberach zusammen und haben demonstriert. Und die Geschäftsleute haben die Rolläden runtergelassen, als die da ankamen mit ihren flachen Mützen, die haben gedacht, es gibt eine Schlägerei mit der SA . Aber die SA war gar nicht zu sehen, die stand irgendwo im Hintergrund, haben sich nicht vorgetraut, obwohl sie schon an der Macht waren.
    Der Polizeikommissar hat ohne jeden Grund auf die eingeschlagen, mit dem Gummiknüppel. Ich hab’ gedacht: Warum tut der das? Die machen doch gar nichts.
    Im März 1933 kam Brüning in unsere Stadt. Der war sehr korrekt gekleidet, hatte einen dunklen Anzug an und schwarze Lackschuhe. Neben mir stand ein SA -Mann, der hat ihm auf die Schuhe gespuckt, so richtig mit Wonne.– Der ist hier übrigens heute im Stadtrat.
    Lektor, 1916
    Das zweite Mal sah ich ihn bei einem Aufmarsch in der Ludwigstraße. Ich gehörte einer Pfadfindergruppe an, die » gleichgeschaltet« vom Jungvolk » übernommen« worden war. Wir waren alle sehr widerspenstig und » dagegen«. Das hatte den Vorteil, daß man unsere Gruppe zusammenließ, damit wir nicht das ganze Jungvolk » vergiften« mit unseren Fahrtenliedern in » artfremdem Moll«. Wir bildeten Spalier. Ich stand in der zweiten oder dritten Reihe und dachte mir, jetzt paßt du mal ganz genau auf, ob er wirklich einen so dämonischen Blick hat. Wir mußten aber strammstehen und durften den Kopf nicht bewegen. Ich konnte nur meine Augen verdrehen, als er langsam vorbeischritt, ein schwammiges, maskenhaftes Gesicht mit vorquellenden wässriggrauen Augen, die vor sich hin stierten und niemand sahen. Sie hatten etwas Irres und Beunruhigendes. Nachher war mir ganz schlecht, wahrscheinlich von dem stundenlangen Herumstehen.
    Akademiker, 1911
    Ich sah ihn 1933 in Kiel, damals war ich Student. Zuerst sprach Hans Schemm, der hat den denkbar besten Eindruck auf mich gemacht. Aber Hitler? Das war mehr so ein finsteres Etwas.
    Trotzdem, man muß staunen, was der so auf die Beine gestellt hat. Er war ja auch ganz rücksichtslos gegen sich selbst. Sein Gehalt, z. B., kriegte er ja nie zu sehen, das ging immer gleich an die NSV . Er lebte ja nur von seinen Büchern. Er verlangte das Letzte von sich, ganz rücksichtslos, und da hatte er dann auch eine Menge Untergebene, die waren rücksichtslos gegen andere, und das war der Fehler.
    Kunstmaler, 1916
    Ich stamme aus Stettin. Da hieß es, Hitler komme. Mein Vater war in einer jüdischen Firma. Der Besitzer, so ein dicker Jude, wohnte in einer Villa, und zwar da, wo der Weg Hitlers vorbeiging. Meine Eltern gingen hin und die Witwe eines Mitinhabers und ich auch. Wir wollten es von oben ansehen, gingen dann aber runter und konnten in dieser feinen Gegend die Kolonne vorbeifahren sehen.
    Das Groteske war, als wir in das Haus zurückgingen, da sagte die Witwe des Mitinhabers: » Ein hübscher Mensch.« Hitler sei ein hübscher Mensch, und das war er nun überhaupt nicht. Im

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