Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
auftrat.
Hausfrau, 1915
1934 oder 1935, wir standen auf dem Reichskanzlerplatz, eingekeilt, und dann kam er ans Fenster. Er hatte ein fürchterlich nichtssagendes Gesicht. Wenn die Chaplin-Filme eher in Deutschland gelaufen wären, meiner Meinung nach wär’ es unmöglich gewesen, daß Hitler an die Macht gekommen wär’.
Hausfrau, 1917
Ich war verabredet in Berlin am Kaiserplatz. Da war eine irrsinnige Menschenmenge. » Der Führer kommt!« hieß es.– » Das mag ja sein«, sagte ich, » aber ich hab’ hier ’ne Verabredung«, und drängelte mich durch, und auf einmal war ich ganz vorn.
Da kam ein Auto mit einem kleinbürgerlichen Mann mit Mütze, und ich hab mich so erschrocken, daß ich ohnmächtig geworden bin, und die SS hat mich in ein Lokal gebracht und hat mir einen Schnaps eingeflößt.
Meine Mutter sagte immer: » Die Mütze mit dem Mann.« Sie sagte auch: » Die ganze Kleinbürgerlichkeit liegt in seinen Füßen.«
Richter, 1904
Ohne Warten geht das ja nicht. Erst mal drei Stunden, bis wir auf den Anhalter Bahnhof raufkamen. Dann hatten wir Glück und standen auch tatsächlich auf dem Bahnsteig, auf dem er ankam. Aber er hat gar nicht gekuckt. Hat sich von irgendeinem Eisenbahndirektor berichten lassen. Und wir Heil! Und er hat gar nicht geguckt.
Regisseur, 1919
Berlin. Da kamen die Züge an von Mussolini, Boris von Bulgarien, und das haben wir immer beobachtet aus dem Fenster des Postamtes SW 1. Das ging dann mit dem üblichen Pomp. Auf der Möckernstraße wurde die Begrüßung vorgenommen und das Defilee, und da traten dann Hitler und Goebbels an. Diese bombastische Art und Weise der Begrüßung. Gulaschkanonen für die Hitlerjugend. Siegesallee mit den großen Falangetürmen, wenn der Duce kam. Boris von Bulgarien und Tiso, wie so’n Pfarrer, eine dolle Type und Horthy aus Ungarn.
Pressezeichner, 1920
Beim Besuch des Außenministers Ciano, in Berlin, da hab’ ich Spalier gestanden. Das wirkte, wie Schauspieler auf der Bühne, wie die da angefahren kamen. Das wurde ja wie eine Operettenaufführung aufgebaut, mit den Kulissen, die Benno von Arendt aufbaute, Pylonen, Säulen mit Adler oder Flammen. Arendt war eigentlich ein Bühnenbildner. Ein Dekorateur. Ich sah damals Hitler nicht als Menschen, sondern als Staatsoberhaupt. Ich bin damals nicht auf die Idee gekommen, ihn kritisch zu sehen. Da war man noch so halb verträumt. So bin ich auch heute noch. Alles Private wurde ja auch streng geheimgehalten.– Illustriertenbilder schieben sich heute dazwischen.
Hausfrau, 1927
Als Jungmädel standen wir auf dem Wilhelmsplatz und haben geschrien. »Heil!« und »Heil!«
Lieber Führer sei so nett,
komm doch mal ans Fensterbrett!
Wir haben uns gefreut, wenn wir ihn sahen. Und wir freuten uns, wenn er kam. Höhepunkt war, wenn er auf den Balkon kam. Hauptsache, wir sahen ihn.
Beamter, 1927
Im Königsberger Schloß habe ich Hitler mal gesehen. Es war in dem Teil, wo die preußischen Könige immer übernachtet haben. Er kam auf den Balkon, und wir haben geschrien:
Nach Hause gehn wir nicht,
bis daß der Führer spricht.
Und dann kam er runter und stieg ins Auto, und da stürmten alle vor, um ihn zu sehen, und die BDM -Mädchen warfen Blumen. Und als wir da ranstürzten, beugte er sich runter und schrie: » Weg! Weg!«, mit wutverzerrtem Gesicht. Er hatte wohl Angst, denke ich mir.
Journalist
1933 ging ich nach Königsberg, ich hatte ein paar Freunde dort, einen sozialistisch-christlichen Kreis, der Hauptmensch war Willy Kramp, ein evangelischer Schriftsteller… Diesem Kreis hatte ich mich locker angeschlossen. In Königsberg zu studieren, das war eine schöne Sache, die Kurische Nehrung, Rauschen sehr schön und natürlich Cranz. Nein, das war schon eine wunderbare Gegend, da konnte man mit seinen studentischen Bräuten für eine Mark pro Tag leben. Noch bis 1936 war ich dort, da oben hörte man ja von Politik gar nichts, das war wirklich eine vereinsamte Gegend, das war ja so, als ob die Wüste Gobi direkt am Meer lag, die Dünen wurden immer verweht, rutschten da in der Landschaft herum, und da lebte man bei Fischern, die hatten nur Kartoffeln, bestenfalls, und Stippe und ihre paar Fische, die sie da rausholten; die Fische selber aßen sie gar nicht, sondern bloß Kartoffeln, ungeheuer ärmlich. Und ich weiß noch, wie da einer kam, das war 1935 oder 36, als wir da mit unseren jungen Mädchen badeten und uns da in den Dünen tollten, da sagt einer: Kommt mal schnell, kommt mit,
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