Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
etwas abschüssigen Zufahrtsstraße zum Hotel eine Menschenmenge ansammelte. Ich stellte mich dazu an den Straßenrand. Plötzlich gab es Bewegung unter den Leuten. Alle reckten die Hälse. Kurz darauf kam ein offener schwerer Mercedes, besetzt mit SS , an- und vorbeigerast. Mit quietschenden Bremsen hielt der Wagen vor dem Hoteleingang; der neben dem Fahrer sitzende SS -Mann flitzte heraus, riß die hintere Wagentür auf, und die dort sitzenden Bonzen stürzten heraus und verschwanden eilig im Hotel. Dieses Schauspiel wiederholte sich sechsmal. Dann kam ein leerer Wagen. Sofort ging unter den Zuschauern ein lebhaftes Geraune los: » Das war das Auto von Hitler. Er kommt mit dem Schiff.« Darauf setzte sich alles in Bewegung Richtung Rhein. Kaum war die Menge mit mir dort angekommen, kamen auf uns drei oder vier braune Gestalten zu. Vorn ging Hitler. Ich stand zufällig unter den vordersten Zuschauern. In etwa 10 Metern Entfernung gingen Hitler und seine Begleiter an mir vorbei und verschwanden durch den Hintereingang ins Hotel Dreesen, wo auf der nach dem Rhein zu liegenden Veranda bereits ein Scheinwerfer stand. Die Volksgenossen gerieten in Ekstase und schrien wie närrisch: » Wir wollen unseren Führer sehen!« und » Lieber Führer, komm heraus, eher gehen wir nicht nach Haus.« Es dauerte nicht lange, dann trat ER ins Scheinwerferlicht, hob den Arm zum sattsam bekannten » Deutschen Gruß« und verschwand nach einigen Augenblicken unter dem Sieg-Heil-Gebrüll des Volkes wieder. Kaum war er weg, ging es wieder los: » Wir wollen unseren Führer sehen, lieber Führer, komm heraus, eher gehen wir nicht nach Haus!« Etwa fünfmal kam und ging er. Ich stand ganz still in dem Haufen und beobachtete die Volksgenossen. Soweit ich sehen konnte, schrien und hoben alle – ich betone alle – die Arme, mit leuchtenden und glasigen Augen auf den » Führer« blickend. Keiner merkte offenbar, daß ich ganz still und regungslos unter ihnen stand. Später habe ich mir dann die Frage gestellt: Wie viele von diesen Schreiern waren wohl in einem Entnazifizierungsausschuß, weil sie » nicht in der Partei waren«? Mein persönlicher Eindruck von Hitler: nichts Faszinierendes, kein » Führerblick«, überhaupt keine Ausstrahlung. Ich hatte nur das Gefühl, ein bösartiges Tier vor mir zu sehen, das mich ohne weiteres umbringen könnte. Wäre Hitler auch ein » Phänomen« gewesen, wenn alle Deutschen meine Haltung eingenommen hätten? Das Phänomen war nicht Hitler, sondern das deutsche Volk. Zur Entschuldigung des deutschen Volkes ist allerdings zu sagen, daß der Nationalsozialismus nur auf dem Hintergrund des Kaiserreiches verstanden werden kann. Nur ein zum Kadavergehorsam erzogenes Volk konnte einen Hitler akzeptieren.
Gastwirt, 1928
1935.– Befreiungsfeier im Saargebiet. Meine Mutter stammte von da, und 1935 konnte sie nicht umhin, da mußte sie also runter. Muß allerdings dazusagen, daß die Befreiungsfeier als solche nur Anlaß war, die dort im Saargebiet verbliebenen Verwandten mal überall aufzusuchen und mal guten Tag zu sagen und mal ’n bißchen schön Wetter zu machen und sich mal zu zeigen.
Ich war noch klein, und mein lieber Onkel Willi, der trug mich also überall da rum, auf den Schultern, dem hab’ ich bei der Gelegenheit mal mächtig in ’n Rücken gepinkelt, weil ich nämlich eingeschlafen war…
Und da hab ich denn auch Adolf gesehen.
Maschinenschlosser, 1922
1935 war die Wahl wegen der Saar. Da hab’ ich meinen Führer am Niederwalddenkmal gesehen. Da hat eine Frau gesagt: » Mutter, dem Mann mußt du in die Augen sehen.«
Er hat den Frauen die Hand gegeben, aber er hat immer zwischen zwei Bullen so durchgereicht. Er war sehr nervös. Er hatte auch Angst.
Arzt, 1925
1935. Da war ein Sprengstoffunglück in einer Fabrik, die lieferte Munition, in Piesteritz, das liegt zwischen Dessau und Wittenberg, der » Lutherstadt«. Das war eine kolossale Geschichte. Ich wohnte damals in Coswig. Ein Teil der Fabrik ist in die Luft gegangen, 100 Tote. Da ist Hitler zur Trauerfeier erschienen, ich war 10 Jahre alt. Kolossaler Eindruck, Hitler mit seiner Mütze, schwarzer Mercedes. Er fuhr vorbei, wir standen dort und jubelten. Nein, wir jubelten nicht, es hieß extra: nicht jubeln. Trauerfeier. (Das wurde natürlich anders genannt: » keine Ovationen« oder so was).
Vorbeifahrende Kolonne.
Alle 10 Jahre ging in Piesteritz die Munitionsfabrik hoch, daher hab’ ich mir das gemerkt.
Buchhändler,
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