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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zeigt er sich diesmal auf dem Balkon, diesmal ohne Mütze. Dann verschwand er, um zu speisen. Man munkelte in der Menge, daß er seinen Spezialkoch mithabe, denn der Führer sei Vegetarier. Nach einer guten Stunde entschwand wiederum die Wagenkolonne und fuhr über den Moritzberg Richtung Berlin. Der frenetische Jubel schwoll noch einmal an. Wir Kinder gingen mit unserm Vater nach Haus. Mir fiel auf, daß kaum etwas mehr vom Besuch Hitlers in der Familie gesprochen wurde. Vor einigen Jahren sagte meine Mutter, sie könne sich noch an die durchdringenden Augen Hitlers erinnern, als er den Moritzberg herunterfuhr.
    Juristin, 1905
    Ich fragte: Hat es überhaupt noch Zweck, das Assessorenexamen zu machen?
    Ja, das hat Zweck, es gibt noch Möglichkeiten für Juristen.
    Ich bin dann in die Wirtschaft gegangen, und nie hat jemand gefragt, ob ich in der Partei bin.
    Mein Vater lebte in der Schweiz. Der sagte: Jura? Warum studierst du Jura? Das ist doch Unsinn. Da kannst du nie ins Ausland gehen. Werd doch Sprachlehrerin, dann bist du in der Schweiz mal hier, mal da Sprachlehrerin, wie es dir gerade paßt.
    Rektor, 1916
    Ich hab’ 1934 Abitur gemacht. 300 wollten Lehrer werden, und nur 30 wurden angenommen.
    1938 kam dann die Aufrüstung und der ganze Aufbau, und da kriegte ich dann auch eine Stelle.
    Lehrer, 1913
    Im Seminar bei uns war mal Baldur von Schirach. Da versammelten sich Leute, die hatten Stiefelhosen an und kackgelbe Hemden.
    Ein Mann
    1934.– Ich war Pfadfinder. Als Schirach die Auflösung unserer Verbände befahl, haben wir geweint. Aber dann wurde die Parole ausgegeben, wir sollten mitmachen, damit wir die Sache von innen heraus steuern und beeinflussen könnten.
    Rundfunkredakteur, 1924
    Als der » Scharnhorst« übernommen wurde in die Hitlerjugend, da hatten wir ein gewisses Plus, weil wir ja schon paramilitärisch erzogen waren, schon strammstehen konnten und linksum machen und im Gleichschritt marschieren konnten, hatten so eine Art Privileg schon mitgebracht, und dieses Privileg wurde von mir dahingehend aktiviert, daß man mich zum Beitragsammeln herumschickte. Das kostete damals, glaub’ ich, 30 Pfennig, und das mußte ich einkassieren. Und da gab es in unserer Stadt so eine Eisenbahner-Wohngegend, und die waren offenbar wohl mehr kommunistisch, und bei denen sollte ich dann Beitrag kassieren. Dort lagen schrecklich viele Roßäpfel auf den Straßen. Und wenn ich dahin ging, ganz schick, mit einem weißen Hemd und Schlips, das hat meine Mutter mir angetan, und da kam ich zu diesen Häusern, Beitrag kassieren, und da kam eine Frau herausgestürmt, packte die Roßäpfel und bewarf mich damit. Und da hab’ ich Leine gezogen.
    Regisseur, 1926
    » F. P. I. antwortet nicht«, Hans Albers, dreimal bin ich da drin gewesen. Von der Schule aus auch. Der Film war » staatserziehend«.
    Die Technik hat mich beeindruckt. Eine Insel sollte gebaut werden, mitten im Meer. Der Natur was abzutrotzen. Die Intrigen, die da ’ne Rolle spielten, die hab’ ich damals gar nicht mitgekriegt. Das Böse und das Gute, nicht wahr? Das war völlig unterschwellig.
    Auf dem Wannsee wurde dann ein Lokal gebaut, das hieß F. P. II . – das war 1934.
    Historiker, 1924
    Ein Film wurde gedreht, in dem ein Kaspertheater vorkam, und wir waren die Komparsen. Käthe Haack als Mutter. Den ganzen Nachmittag kriegten wir Kaspertheater, wobei uns gar nicht auffiel, daß das immer dieselbe Szene war.
    In der Pause kriegten wir Schokolade zu trinken, und dann gab’s wieder Kasperle.
    Abends stand dann ein Mann am Ausgang mit einem Beutel voll 20-Mark-Scheinen, und jedes Kind kriegte einen 20-Mark-Schein. Das war mein erstes selbstverdientes Geld. Mit diesem 20-Mark-Schein ging meine Mutter am nächsten Tag in die Stadt und kaufte mir einen Bleyle-Anzug.
    Musiker, 1927
    Bleyle– das war das Kreuz aller Jungen.
    Hausfrau, 1927
    1933/34 war Jojo. An jeder Ecke stand jemand und machte so! Bei Puppen-Schulz gab’s die zu kaufen, aus Holz, eine Seite lila und die andere Seite rot.

5
    Förster, 1916
    Durch das Fluidum wirkte er. Das hatte, in anderer Art, auch Adenauer. Die Leute waren fasziniert, das war wie eine Art Hypnose, Psychose, kein eigenständiges Urteil war mehr möglich. Diese ganze Vorbereitung… Das glaubt heute ja kein Mensch mehr.
    Bibliothekar, 1922
    Das zweite Mal hatte er die Mütze auf. Man sah wenig, aber die Neugier und das Interesse– es war eine imposante Geschichte. Die Raffinesse war, daß er schlicht und ergreifend

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