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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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erzählte mir, daß er mal ein bißchen aus sich herausgegangen sei. Sie hat sich eine Stunde mit ihm unterhalten. Sonst waren die Begegnungen immer nur ganz formeller Natur, das ist genauso, als wenn Sie jetzt einen Politiker bei einer Party treffen.
    Ein Schauspieler, 1914
    Nein, ich habe ihn nie gesehen. Ich wurde einmal eingeladen, und da habe ich so getan, als hätte ich die Einladung nicht erhalten, und da ich noch kein so großes Licht war, auch beim Film noch nicht, ist man dem nicht nachgegangen. Auch Einladungen der Kameradschaft Deutscher Künstler habe ich nicht befolgt, auch wenn Goebbels eingeladen war.
    Am Schillertheater wurde man relativ in Ruhe gelassen, da wurde auch nicht »Heil Hitler!« gesagt.
    Lehrerin, 1918
    Der schönste Karneval war im Februar 1939, bei meiner Freundin im Keller. Damals war das ja noch was, mit BH und so weiter, ’n bißchen sexy, das war schön!
    Wenn in Großmutters Stübchen ganz leise
    surrt das Spinnrad am alten Kamin…
    Das war der Schlager. Und sie hatte dann so einen Samtvorhang mit lauter Masken drauf. Und oben war kaltes Büfett.
    Ein Herr aus Oldenburg
    Das war am 1. April 1939 nach dem Stapellauf des auf der Wilhelmshavener Werft gebauten Schlachtschiffes » Tirpitz«. Auf einer großen Kundgebung vor dem Rathaus kündigte Hitler den Flottenvertrag mit England. Ich war 18 Jahre alt, Oberschüler. Wir waren zu dritt, Klassenkameraden, nach Wilhelmshaven gefahren, um den Führer zu sehen. Wir hatten uns einen Platz dicht an dem breiten Mittelgang gesichert, gleich hinter der SA -Absperrung. Tausende von Menschen zu ebener Erde, und das Rednerpult war nicht sehr hoch. Findige Händler verkauften kleine Klappstühle und leere Obstkisten. Auf die konnte man sich stellen, um besser sehen zu können. Es war sehr kalt und stürmisch an diesem Tage. War deshalb die dicke Glasscheibe vor dem Rednerpult? Wegen des Windes? Oder war das Panzerglas? Vor dem Rednerpult spielte die Marinekapelle den » Badenweiler«, wie immer, man kannte das aus dem Radio. Der Führer kommt! Der Führer kam mit großem Gefolge den Mittelgang herauf. Er war viel kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Und irgendwie wirkte er seltsam abwesend, müde, abgespannt, sogar ein wenig unsicher. Oder irritierte ihn die sture norddeutsche Art? Die Leute erhoben zwar die Hand zum Deutschen Gruß, aber von begeisterten Heilrufen war nicht viel zu hören. Dann sah ich ihn ganz nah. Seine Wangen waren von kleinen altroten Äderchen durchzogen. Wie bei alten Frauen auf dem Lande. Seine Augen blickten unruhig rechts und links. Die Rechte erhob er immer wieder mit angewinkeltem Arm zum Deutschen Gruß. Während der Rede kam keine Begeisterung auf. Irgendwie schien den bedächtigen Norddeutschen nicht wohl zu sein bei dem, was sie da von militärischer Stärke und deutschem Anspruch hören mußten. Ahnten sie, was da auf sie zukommen würde? Während der Rede brachen die Leute unentwegt mit ihren Obstkisten und Klappstühlchen zusammen. Das ergab immer Gelächter in der Umgebung. Es wirkte fast wie Galgenhumor. Da oben sprach der Führer, redete sich in Wut, und hier unten krachten die Obstkisten zusammen.
    Es war alles nicht sehr eindrucksvoll.
    Im Zuge nach Oldenburg unterhielten wir uns über Theater, Schauspieler und Stücke, wir waren alle drei eifrige Statisten am Theater.
    Und über den verrückten Inspizienten, der war ein Original. Die Kundgebung war nahezu vergessen.
    Nachsatz: Es wurde immer so viel von der Suggestivkraft seiner Augen gesprochen. Daß man seinem Blick nicht widerstehen könne. Ehrlich: Ich hatte sogar ein etwas unbehagliches Gefühl auf meinem exponierten Platz direkt am Mittelgang. Was ist, wenn der Führer nun auf dich zukommt und dich anschaut?
    Als er dann endlich kam, habe ich nicht einmal mehr daran gedacht.
    Aber er hat mich auch nicht angesehen.
    Redakteurin, 1932
    Vorkrieg, das war Erdbeeren mit Schlagsahne. 1939 war ich in Österreich, da gab es noch Schlagsahne, bei uns gab’s die schon nicht mehr. Und wenn ich heute noch an die Vorkriegszeit denke, dann denke ich an Erdbeeren mit Schlagsahne.
    Schriftsteller, 1931
    Kurz vor dem Krieg kam » weiße Schokolade« auf, das hing mit den Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches zusammen. Ich kriegte mal eine Tafel geschenkt, den Geschmack hab ich noch auf der Zunge. Die Tafeln waren etwas kleiner als die Schokoladentafeln.

10
    Offizier, 1912
    Kurz vor Ausbruch des Krieges, an der polnischen Grenze, aus zwei bis drei

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