Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
von allen Fachleuten als wilde Demagogie in den Wind geschlagen– er hatte es wahrgemacht. Dagegen war schwer aufzukommen. Für die meisten Menschen war es nun einmal wichtiger, daß es ihnen gutging, als daß Hitler den Juden Unrecht tat oder sich mit den Kirchen herumzankte oder die Künstler schikanierte. » Der Mann mag seine Fehler haben, aber er hat uns wieder Arbeit und Brot verschafft.« Ich höre es heute noch, und immer noch fällt mir keine rechte Antwort ein. Besonders die Arbeiterschaft, die noch 1933 geschlossen und erbittert gegen Hitler gestimmt hatte, war damit– wenn nicht gewonnen, so doch mindestens neutralisiert. Ein Restbestand von Mißtrauen und Zweifel ist unter den Arbeitern vielleicht nie ganz ausgestorben; aber mehr als ein Restbestand war es nach der Mitte der dreißiger Jahre bei den meisten kaum mehr. Die verblüffte Dankbarkeit war stärker. Alles in allem akzeptierten sie Hitler jetzt. Wenn es verlangt wurde, bei Betriebsbesuchen und Maiaufmärschen, leisteten sie auch ihr Jubelsoll. Und kann man es ihnen eigentlich übelnehmen?
Das Wirtschaftswunder hatte keiner Hitler so recht zugetraut; noch weniger das außenpolitische Wunder. » Die Ketten von Versailles abschütteln«– ja, das schien leichter gesagt als getan. Aber dann gelang es Hitler wirklich, gelang scheinbar spielend, und die Skeptiker standen blamiert und beschämt da, auch vor sich selber. Die Wehrpflicht, die Rheinlandbesetzung– es ging ja alles wie geschmiert. Und es brachte nicht einmal neue Spannungen und Ängste, im Gegenteil, die englischen und französischen Minister und Politiker, noch gestern auf so hohem Roß, schienen plötzlich wie ausgewechselt. Bei den Olympischen Spielen in Berlin gab sich die Welt ein Stelldichein, bei den Parteitagen in Nürnberg fehlte es nie an ausländischen Ehrengästen, der alte sagenhafte Lloyd George, einst Deutschlands grimmiger Feind, der Sieger im Ersten Weltkrieg– jetzt kam er zu Hitler nach Berchtesgaden und sprach nachher entzückt und begeistert von seinem Gastgeber. Und dann der Anschluß Österreichs, und dann München, wo Chamberlain und Daladier Hitler das Sudetenland auf dem Präsentierteller darbrachten! Ja, um Gottes willen, was sollte unsereiner denn da noch kritisieren?
Das Wirtschaftswunder hatte die Arbeiter überzeugt, das außenpolitische Wunder überzeugte die patriotischen Großbürger. » Man kann gegen den Mann sagen, was man will, aber er hat Deutschland wieder groß und angesehen gemacht.« » Schön, das mit den Juden gefällt mir auch nicht, aber man kann doch jetzt als Deutscher wieder den Kopf in der Welt hochtragen.« Schwer, dagegen anzureden. Natürlich hatte die Art von Patriotismus, die sich da ausdrückte, etwas Eitles und Falsches, nach der äußeren Wirkung Schielendes; der rechte Patriotismus, der das eigene Land im Innern so anständig und menschlich gestalten will, wie es nur irgend geht, war es nicht. Aber es war derselbe Patriotismus, der überall gang und gäbe war und vielfach noch ist– » Vive la France!« » America first!« » Rule, Britannia!« Ein speziell deutsches Laster war es nicht. Außenpolitische Erfolge machen überall populär. Und man mußte lange suchen, um solche außenpolitischen Erfolge zu entdecken, wie sie Hitler in ununterbrochener Folge Jahr für Jahr einheimste.
Es war übrigens noch etwas anderes und Tieferes als bloße patriotische Genugtuung und bloße Dankbarkeit für wiederhergestelltes materielles Wohlbefinden, was bei alldem mitschwang, nämlich ein gewisses, nicht einmal unsympathisches, bescheidenes Mißtrauen gegen das eigene Urteilsvermögen. Man muß sich darüber klar sein, daß die meisten Leute, die 1933 noch gegen Hitler gestimmt hatten und erst nachher ihren inneren Widerstand aufgaben– und das war immer noch die Mehrheit der Deutschen–, für die abstoßenden und erschreckenden Züge dieses Mannes und seiner » Weltanschauung« durchaus nicht blind waren. Sie hatten ihn ja nicht gewollt, er hatte sie eher abgestoßen, auch jetzt fanden sie ihn mitunter immer wieder einmal schwer erträglich: der Bombast, das ewige Geschrei, die Unbescheidenheit, das Über-alles-Bescheid-wissen-Wollen, die Grausamkeit, die Humorlosigkeit, die hysterische Maßlosigkeit– furchtbar! Und das » nationalsozialistische Gedankengut«, dieses Flickwerk von dogmatisierten Feuilletonismen– unmöglich ernst zu nehmen! Und doch, und doch. Was alte Hitlergegner, gebildete und geschmackvolle Bürger und
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