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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Hemmungen, da wegzugehen, wo ich war. Mein Jungzugführer hat zu mir gesagt: Da gehst du nicht hin!– Er erwähnte dann, daß da welche drin seien, die im Gefängnis gewesen sind. (Essener Jugendprozeß.) Als Zehnjähriger wollte ich ihn nicht fragen, warum…
    Angestellter, 1920
    Den Namen Ossietzky hab’ ich erst nach dem Krieg zum erstenmal gehört.
    Internist, 1927
    Ich spielte mit einem Jungen aus der Nachbarschaft, von dem Vater wußte man, daß der » saß«. Aber es wurde nicht darüber gesprochen. Man nahm das als gegeben hin.
    Psychiater, 1921
    Nein, nur als Schüler, und zwar von Buchenwald. Ich war Hermann-Lietz-Schüler in Ettersberg bei Weimar.
    Wir liefen Ski und sahen die Bauarbeiten für die Zäune, und niemand wußte, was das werden sollte. Als Schüler haben wir die Wälder durchstreift und konnten plötzlich mehrere schöne Wege nicht mehr gehen, weil Maschendrahtzäune sie durchkreuzten, und es wurde gemunkelt, daß da ein Lager hinkäme.
    Es ist uns dann auch streng verboten worden, da wieder hinzugehen.
    Optiker, 1913
    KZ ? Nein. Ja. Also, ganz nein will ich nicht sagen. 36/38 hab’ ich in Jena studiert. Damals wurde Buchenwald gebaut. Da gingen Gerüchte, aber das war auch alles. Weimar wurde ganz als NS -Stadt eingerichtet. Thüringens Metropole, so wurde einerseits gesagt, und dann richteten die da ein KZ ein.
    Kleindarsteller, 1905
    Daß es ein KZ gab, hab’ ich mitgekriegt, weil ich bei Buchenwald wohnte; daß da Andersgläubige lebten, das wußte ich.
    Man hörte, daß das eine Anstalt wär’, in der Mißliebige, Andersdenkende eingesperrt seien.
    Studienrat, 1926
    Ich wußte, daß Buchenwald ein KZ war, ich wußte auch, daß unser Kreisleiter mal mit zu einer Delegation gehörte, die Buchenwald besichtigen durfte. Da war ’ne Musterabteilung, die extra hergerichtet wurde, alles gut. Der hat uns auch mal in einem Vortrag erzählt, wie gut es doch den Leuten geht, und die könnten arbeiten, und die wären in Schutzhaft, und die würden gut verpflegt und so weiter…
    Direktor einer Volkshochschule, 1925
    Wir zogen öfter zum Ettersberg hoch, ich mit meinen Schulkameraden. Die Geschmacklosigkeit der Nazis war ja so weit gegangen, daß sie ihr KZ -Areal bis in den Park vom Ettersberg vortrieben, in dem Goethe früher die » Iphigenie« aufgeführt hat, mit der Dingsda als Iphigenie und dem… als Orest.
    Wenn man sich vor Augen hält, daß man in demselben Jahr verhältnismäßig sorglos aufgewachsen ist! Und mit Idealen!– Auf einmal sieht man das von Sorglosigkeit charakterisierte Leben mit ganz andern Augen an. Und was heute dort drüben geschieht, läßt einen sehr nachdenklich werden. Der Russe hatte das Lager dann ja noch lange in Betrieb.
    Germanist, 1923
    Ich war in Erfurt. Und da machten wir eines Tages einen Schulausflug nach Weimar zum Goethehaus. Und bei der Gelegenheit sah ich einiges. Im Vorgebiet von Weimar war ein KZ , ich wußte damals nicht, daß das Buchenwald hieß. Ich sah gefangene Sträflinge in einem Steinbruch oder etwas Ähnlichem arbeiten. Ich wußte, daß das KZ -Häftlinge sind, hatte aber nicht gedacht, daß das etwas anderes wäre als in Schneidemühl die normalen Sträflinge. Das muß 1937/38 gewesen sein.
    Ein Mann, 1923
    Ich war nur einen Tag in Weimar, da hab’ ich das KZ gesehen und auch Beobachtungen gemacht. Das war praktisch wie unsere militärische Ausbildung, so schien es mir damals: » Wir zählen– ab!« Nur wesentlich härter.
    Hausfrau, 1924
    Nur 1937, da war ich 13. Ich war in Oranienburg bei Berlin, da hat uns eine Studienratswitwe an einem großen Lager vorbeigeführt, und da sahen wir, wie glatzköpfige Männer in scheußlichen gestreiften Anzügen Gräben aushoben. Ich hab’ es nicht begriffen, wie denen zumute war, hab’ auch gedacht, sie hätten ganz furchtbare Verbrechen begangen.
    Die Studienratswitwe war eine ganz große Nazidame. Die war vermutlich überzeugt davon, daß die das verdient hatten.
    Hausfrau
    Als ich dreizehn war, da besuchte ich mal meine Großeltern, die wohnten am Güterbahnhof. Von da aus konnte man gelegentlich Leute in gestreiften Anzügen arbeiten sehen. Da sagte mein Großvater: » Das sind Leute aus dem KZ .« Das violette Kennzeichen, das seien Schwule, sagte er, mit einem etwas mokanten Gesicht.– » Was ist das?«– » Männer, die nicht in die Gesellschaft passen.«
    Studienrat, 1925
    Was uns– also jetzt » uns« insgesamt–, uns Deutschen vorgeworfen wird, manchem mit Recht, aber vielen doch

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