Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
mit Unrecht: » Ihr hättet doch wissen müssen!– Ihr habt doch die Lager in unmittelbarer Nähe gehabt!«, das ist schwer zu beantworten. Ich wohnte in Arnstadt, 40 Kilometer von Weimar entfernt, aber ich habe nichts von Buchenwald gewußt.– Wir wußten, daß es ein Lager Buchenwald gab, aber was drin los war… das war tatsächlich so abgeschirmt von der Außenwelt, daß man nichts hörte. Die paar, die was wußten, die erzählten natürlich nichts davon, um nicht selbst in Gefahr zu kommen.
Finanzbeamter, 1911
Ich habe nie was gesehen. Aber man hörte von den Geisteskranken, die verschwanden, und daß die starben, ohne daß ein Grund vorlag. Da gab es einen Film von einer Todkranken mit Heidemarie Hatheyer (?), » Ich klage an«, die aus Barmherzigkeit getötet wurde. Dieser Film sollte die Tötung der Geisteskranken in der Bevölkerung wohl vorbereiten und populär machen. Die » Euthanasie« wurde von der Bevölkerung nicht mit den KZ s in Verbindung gebracht.
Hausfrau
Ja, von Grafeneck, wo die Geisteskranken getötet wurden. Ein Bekannter wohnte dort. Ich kann heute noch nicht verstehen, daß man um die Tötung von Geisteskranken so ein Theater gemacht hat. Da gibt es doch welche drunter, die tatsächlich ihr Ende herbeisehnen oder für die das eine Erlösung ist. Wer mal so richtige Geisteskranke gesehen hat, der versteht das. Damit ist nicht gemeint, daß man gleich jeden Mongoloiden abmurksen soll.
Bei der Frage der Abtreibung ist man heute ja auch nicht grade zimperlich.
Rektor, 1905
Die Kristallnacht hab’ ich noch in Erinnerung. Das war schrecklich. In einem zerstörten Laden hing eine Figur am Galgen. Ich war entsetzt.
Dozent, 1927
Die Kristallnacht war bei uns hoch akut! Im Radio kam die Nachricht, daß der Rath oder wie er hieß, den der Jude Grünspan angeschossen hatte, seinen Verletzungen erlegen sei. Da mußten wir von der Hitlerjugend aus abends antreten und durch die Stadt marschieren. Mein Vater sagte: » Unterwegs setzt du dich ab!« Und das hab’ ich dann auch getan. Die jüdischen Kaufhäuser sind tüchtig geplündert worden. Am nächsten Morgen hatten meine Schulkameraden lauter kleine rote Portemonnaies mit Ringen drin. Sie kamen damit an und fingen damit an zu handeln, und zwar nahmen sie die Ringe heraus und versuchten sie extra an den Mann zu bringen. Ohne jedes böse Gefühl ging das. Da ist eben was freigegeben worden, so dachte man.
Jurist, 1928
Wenn einer sagt, er hat von der Kristallnacht nichts gewußt, dann lügt er. Das konnte jeder sehen, und das stand ja auch in der Zeitung. Meine Eltern waren damals sehr bedrückt. Mein Vater, mit ’ner goldenen Brille auf – in seiner Studierstube stand eine Büste von Homer –, also, zu dem paßte so was doch gar nicht. Der war solcher Brutalität gegenüber völlig machtlos. Daß der erschüttert war, das ist doch selbstverständlich.
Kaufmann
Man konnte sich das nicht vorstellen. Ich habe erzählt bekommen von der Kristallnacht, wie das da zugegangen ist. Hinter der ganzen Nazisache lag damals eine grausame, schattenhafte Ahnung. Bloß nicht daran rühren, dachte man. Das war wie Tod und Teufel, wie die schlimmsten Alpträume. Als ob man so einen Blick tut in die Abgründe des Unbewußten. – Davor klingelte das WHW -Werk mit bunten Figuren, und die Paraden prunkten, überhaupt, der Erfolg deckte alles Nachdenken zu.
Buchhändler, 1913
Ich hatte meine infanteristische 10-Wochen-Ausbildung im Herbst 1938 abzuleisten. Das Bataillon war in der Don-Pedro-Schule in Nymphenburg einquartiert. An jenem Septembermorgen, als Chamberlain nach dem Münchner Abkommen nach London zurückflog, sahen wir seine Maschine über dem Oberwiesenfeld aufsteigen.
Der 10. November war der Tag der Entlassung. Ein paar Gefreite und die beiden Unteroffiziere unserer Stube, die zu Hause schliefen, erzählten, als sie vor Dienstbeginn aus der Stadt kamen, aufgeregt und anschaulich, was sie von den Verwüstungen und den Bränden der beiden Synagogen wußten oder gehört hatten. Wir hatten keine Nachrichten gehört. Unter uns jungen Männern, Arbeitern, Handwerkern, Angestellten, zwei Studenten, befanden sich nur zwei oder drei Nazis. Die hielten ihren Mund. Alle anderen machten ihrem Abscheu und ihrer Empörung Luft. Einige wollten es überhaupt nicht glauben.
Rentner
Ich wurde am 11. November 1938 (zwei Tage nach der Kristallnacht) zur Wehrmacht eingezogen. Auf meinem Weg durch die Stadt Lübeck zur Kaserne habe ich die zertrümmerten
Weitere Kostenlose Bücher