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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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war ’n Schuhgeschäft und ’n Uhrengeschäft, der Löwenthal in der Schmiedestraße, total kaputtgeschlagen, und sogar zum Karstadt-Konzern wollten sie rein und wollten alles kaputtmachen, und da ist aber wohl zur rechten Zeit noch jemand draufgekommen, daß der doch kein Jude ist. Und den Friedhof haben sie fürchterlich zugerichtet in Schwerin, da war ein Judenfriedhof. Und das kam uns damals auch erstmalig zu Bewußtsein, daß sie da also unbedingt etwas gegen die Juden unternehmen wollten und dies nun auf die ganz öffentliche, harte Tour taten.
    Beleuchter, 1925
    O ja! Natürlich! Mein Onkel war im KZ . Und der Vater meines Freundes, der war auch mal ’ne Zeitlang im KZ . Da wurde natürlich nicht darüber gesprochen.
    Als Junge kann ich nicht sagen, daß ich die Bedeutung der KZ s überhaupt erfaßt habe. Aber die Kristallnacht. Mein Vater war Bäcker, und wir hatten einen Lieferanten, der hieß Eichmann, der war Jude. Und einen Tag nach der Kristallnacht, da sagt mein Vater zu mir: » Du, Junge, du kannst eben mal gehen und die Rechnung bezahlen beim Herrn Eichmann!« Ich geh’ hin und klingel’ da, es mag 10 oder 11 Uhr gewesen sein, da haben die aufgemacht mit Angst im Gesicht, dachten, das war der SD oder was weiß ich. Da ist mir das noch gar nicht so bewußt geworden, aber im nachhinein.
    Eine Frau, 1931
    Ich habe auf dem Lande gelebt, da war nichts. Erst 1939 hab’ ich auf dem Schulweg die kaputte Synagoge gesehen, und da hab’ ich gefragt: Was ist denn das?
    Redakteur
    Mein Vater regte sich über viele Dinge wie Kristallnacht usw. gewaltig auf. Aber als die großen Siege in Frankreich kamen, war er hingerissen. Da war das andere dann verdrängt.
    Bibliothekarin, 1921
    Nebenan von uns war ein Schirmgeschäft, die hießen Katz. Und wir hießen Kater und hatten unser Geschäft direkt daneben. Und als die zumachen mußten, hat die ganze Straße gesagt: Wie schade, das war doch immer so lustig.
    Regieassistent, 1933 *
    * Gedächtnisirrtum, wohl in Verbindung mit der Kristallnacht.
    Der » Judenstern« wurde den Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten 1940 aufgezwungen.
    Niemals. Das einzige, an was ich mich noch erinnern kann, das war 1938, da war ich 5 Jahre alt. In der Nachbarstraße wohnte ein kleiner dicker Mann mit der typischen gebogenen Nase, und der stand ’n paarmal an der Haltestelle. Er trug einen Staubmantel mit einer Knopfleiste, und daran hatte er den gelben Stern. Ein paarmal hab’ ich ihn da gesehen.
    Sekretärin, 1925 *
    Ja, einen Eindruck hatte ich. In den großen Ferien war ich an der Ostsee gewesen, 13 Jahre war ich alt. Und auf der Rückreise kam ich mit dem Zug auf dem Stettiner Bahnhof an, und da stand der ganze Bahnsteig voll Menschen, die hatten alle gelbe Abzeichen auf der Kleidung, Sterne also. Da hab’ ich mich gewundert: Was ist dies?
    Das war 1938.
    Kunstmaler, 1914
    KZ . Ja, natürlich. 1938 wurde ein Freund von mir, ein Industrieller, Jude, nachts abgeholt. Nach 4 Wochen kam er wieder, und seine schönen englischen Anzüge waren durch eine Säure gezogen, die kriegte ich dann geschenkt.
    Studienrat, 1925
    Ein Onkel von mir war Rechtsanwalt und Notar, der hatte für inhaftierte Juden in Buchenwald Vermögensangelegenheiten zu regeln, Vollmachten zu geben, um Vermögen eventuell auf andere Personen zu überschreiben. Das hab’ ich erst nach dem Krieg erfahren, ich wußte nur, daß er da irgendwelche Arbeiten zu erledigen hatte, er sprach nicht darüber. Wie ich mal in seinem Büro war, wie alt war ich da, dreizehn, vierzehn Jahre, neugierig, wie man ist, hab’ mal so in seinen Akten rumgewühlt, da sah ich auch Akten mit Namen Veilchenfeld und Rosenbaum, also das war ja klar, und sah auch die Paßbilder: Zum großen Teil das, was man sich unter einem typischen Juden vorstellte. Kapiert habe ich damals kaum, las da was von Vermögen und Vollmachten. Er selbst sprach überhaupt nicht drüber. Was ich viel später erfuhr, nach 45 erst, er hat ca. zweitausend Juden zu Papieren usw. verholfen, mit Beziehungen, die er hatte, daß sie noch zur Auswanderung kamen.
    Bauer, 1901
    Jüdische Rechtsanwälte waren gut, in Prozessen, man braucht ja immer mal einen Rechtsanwalt, auch beim Landwirt kommt mal was vor, wenn es was zu regeln gibt. Klein hieß der eine, der war gut. Der war dann nachher auch nicht mehr da.
    Hausfrau
    Ich bin in der glücklichen Lage, nie damit konfrontiert worden zu sein.
    Die einzige Jüdin in unserer Klasse, als die verschwand, da haben wir

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