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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ich an der holländischen Grenze bei einer Familie, die enge Beziehungen zum Kaplan der Orte Lobberich und Grefrath hatte. Insbesondere die Tante Unna erzählte uns viel von dem Bischof Graf von Galen der Diözese Münster, der in vielen Hirtenbriefen auf die Behandlung der Juden und auf die Übergriffe der NS -Machthaber hinwies.
    Dort habe ich auch zum ersten Male den Ausdruck » KZ « gehört.
    Pastor, 1899
    Im August 1940 kamen Lastwagen mit Möbeln, Bildern, Teppichen und Radioapparaten aus Holland. Das wurde auf dem Marktplatz ausgestellt, die Bevölkerung sollte kaufen. Das waren gebrauchte Möbel.
    Hausfrau, 1922
    Ich weiß nur von den Lastkähnen, die auf dem Dortmund-Ems-Kanal fuhren, und daß die eine ganze Zeitlang Möbel und Klaviere transportierten, gebrauchte Sachen.
    Wir kleinen Dötze standen auf der Brücke und sagten: » Da waren aber viele Klaviere drauf.« Und meine Mutter sagte ganz traurig: » Das hat man all den Menschen weggenommen.« Und meine Freude schlug dann um.
    Angestellter
    Ich kaufte mir ein Lexikon » Die Juden in der Musik«. Das zeigte ich meiner Mutter, und die hat das ohne Kommentar durchgesehen. Dann setzte sie sich ans Klavier und spielte was aus der »Csárdásfürstin« von Emmerich Kálmán und fragte mich, wie mir das gefiele. Kálmán wäre ein Jude, was ich dazu sagte. Da war ich doch sehr nachdenklich. Später hat sie Angst gekriegt und hat gesagt, den kenne sie von früher, und die Musik hätte an einem bestimmten Tag ihres Lebens eine Rolle gespielt– nur deshalb habe sie mir das gesagt. Sie dachte, ich würde das in der Schule erzählen.
    Journalist, 1930
    Eine erste Beobachtung hatte ich, die ist mir damals aber nicht bewußt geworden. Ich war Schüler des Jesuitengymnasiums. Als ein Lehrer verhaftet wurde, war zum erstenmal von » KZ « die Rede, erinnere ich mich. Er war weg, und es wurde darüber gesprochen.
    Kaufmann, 1924
    Wir wollten ein Gedicht lernen, und ich lernte den » Belsazar« von Heine, » Die Mitternacht zog näher schon …« Ich sagte das Gedicht auf, und der Lehrer ließ mich auch, aber dann hat er gesagt: » Das ist sehr schön, das Gedicht, und du kannst zu Hause auch ruhig weiter Gedichte von Heine lesen, aber wenn du mal wieder was aufsagen sollst, dann würde ich doch ein anderes nehmen.«
    Das war 1940, und das hat für niemand irgendwelche Folgen gehabt.
    Schriftsteller, 1922
    Ich hab’ mal im Zug einer Frau den Platz angeboten, und da hat sie die Handtasche plötzlich vor den Stern gedrückt und mich so angeguckt. Sie wollte mir keine Schwierigkeiten machen.
    Dozent, 1927
    Die Sache mit dem Judenstern hab’ ich noch in Erinnerung. Meine Eltern wurden immer wieder angesprochen, wir sollten doch mit solchen Leuten nicht reden.
    Es wurde auch gesagt, die Halbjuden müßten auch irgendwie einen ganz kleinen Stern tragen, man wisse ja nie, mit wem man da spricht.
    Landwirt, 1913
    Also, wo ich erfahren habe, daß Juden negativ behandelt worden sind, das war, daß unser Hausarzt auf’m Lande… Er war Jude, und seine Frau war Arierin, und der Sohn war somit Halbarier.
    Sie waren drei Jahre verlobt, die kriegten keine Heiratserlaubnis.
    Das war von Lilienthal der Sohn, das weiß ich noch, und da war nichts möglich.
    Trotzdem mußte der zweite Sohn nachher noch Soldat spielen; dazu war er gut genug.
    Kaufmann, 1931
    Meine Tante war anti, und mein Vater war dafür. Und wenn sie kam, wurde die Wohnzimmertür zugemacht, und da haben sie sich gestritten.
    » An sich gehörst du ins KZ «, sagte mein Vater zu ihr.
    Oberstudiendirektor, 1910
    Vor meinen Augen wurde mein Vater verhaftet. Er war in keiner Partei, aber er war ein utopischer Sozialist. 1940 wurde mein Vater von den Nazis verhaftet, und ich dann 1945 von den Russen.
    Als völlig gesunder Mensch ist er zunächst in eine Irrenanstalt gebracht worden. Mir wurde angedroht: » Wenn Sie sich noch mehr um Ihren Vater kümmern, dann gehen Sie auch ab. Ihr Vater ist ein Feind des Führers.«
    Mein Vater ist dann nach einem Jahr entlassen worden.
    Arzt, 1909
    Als ich den Verstand kriegte, 1940 rum, da hab’ ich meine Eltern gefragt: » Was ist ein Konzentrationslager?«
    » Da ist man eingesperrt, wo es wenig zu essen gibt und wo man furchtbar arbeiten muß«, das war die Antwort.
    Man sprach hinter vorgehaltener Hand darüber. Dachau, das war allgemein bekannt. Dachau, das war ein Synonym für » KZ «.
    Dachau war schon deshalb bekannt, weil da auch katholische Geistliche inhaftiert waren.

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