Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
uns natürlich unsere Gedanken gemacht.
Sekretärin, 1925
Ich hatte eine Schulfreundin, die war Jüdin. Und eines Tages sagte sie: » Wir gehen nach Amerika.« Ich brachte sie zum Schultor, um von ihr Abschied zu nehmen, und als ich zurückkam in die Klasse, da haben sie mich verdroschen.
1938 war das, als die noch auswandern konnten.
Zollbeamter, 1929
Ja. Eine Schulkameradin verschwand. Ich hab’ sie noch in der Stadtbahn gesehen und hab’ noch versucht, sie zu erreichen, ging in das Mietshaus, und da hieß es, es gäbe sie nicht mehr. Die Leute in dem Mietshaus waren alle ganz still.
Schriftsteller
Unser Schulleiter starb, und wir Schüler wurden angehalten, die Ansprache des Pfarrers mitzustenographieren, für die Angehörigen. Und da kam dann der Eindruck auf, das wollte die Gestapo haben, und da fiel dann auch der Ausdruck » KZ «.
Hausfrau, 1901
Mein Mann war ganz wütend. Jedesmal, wenn er aus der Bank kam und nach Hause wollte, stand ein Jude auf der Straße und hat ihm aufgelauert. Die wollten alle was von ihm, und das konnte er ja nun gar nicht vertragen, daß die ihm so nachliefen.– Er hat sie manchmal zusammengeholt und hat sich über sie geärgert, weil selbst in dieser Situation noch jeder sein eigenes Süppchen kochen wollte, gegen die andern. Da hat er manches Mal gesagt: » Nun helft euch doch gegenseitig! Euer Geld geht ja doch verloren!«
Angestellter, 1925
Juden unerwünscht! hieß es. Man hatte so das Gefühl, daß die Juden abgeschoben werden, ins Ausland. Und, so wie ich meinen Vater kenne, wenn der das gewußt hätte, dann, nehme ich an, daß er da auch ganz klar und scharf sich gegen geäußert hätte.
Buchhändler, 1932
Ich kann mich an eine Sache erinnern. Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Die Viehhändler waren durchweg Juden. Mein Onkel war Pferdehändler, und eines Tages ergab sich ein Gespräch im Pferdestall. Der Mann hieß Schloß, der war Jude, der sagte: » Ich muß hier raus, ich muß nach Hamburg.« – Mein Onkel hatte ein Auto, einer der wenigen damals, der ein Auto hatte, und der Jude fragte, ob der ihn fahren würde. 1939. Und bei Tisch kann ich mich erinnern, daß es eine kurze Diskussion gab, ob mein Onkel nach Hamburg fahren wird oder nicht. Und da hat der gesagt: » Ich bin dem verpflichtet, ich fahre.« Er wünschte keine Debatten. – Und die sind dann auch weggekommen.
Was mich geärgert hatte, der Sohn von dem hieß Nathan, und jeden Sonnabend wurde ich da rausgeschmissen. Wir haben uns darum geprügelt. Aber keine Debatte, daß der Jude war.
Nach dem Krieg ist der dann bei uns wiederaufgetaucht, der Nathan. Stand plötzlich vor der Tür und brachte uns Zigaretten und Schokolade. Das hat der uns nicht vergessen.
3
Bibliothekarin, 1923
Meine Mutter hat immer den Englandsender gehört, daher wußten wir ’ne ganze Menge. Aber gesehen haben wir nichts.
Masseuse, 1924
Meine Mutter hat gesagt: » Wenn wir die Verdunklung nicht runtermachen, kommen wir ins KZ .«
KZ , das war eben mehr als Zuchthaus, das wußte man.
Postbeamter, 1921
Eigentlich nicht. Als Landser hat man mal was gesehen. » Ist das eine Strafeinheit?« hat man gedacht.
Fuhrunternehmer, 1913
Und dann hab’ ich Judenverfolgungen erlebt während des Polenfeldzugs, auf dem Vormarsch. Wir zogen als Artillerieeinheit durch ein Dorf und erlebten, wie eine SS -Einheit die Juden aus den Häusern trieb, und wenn die dann gerade so auf die Straße laufen wollten, wurde hinterhergeschossen. Und ich selber habe hier tote Juden liegen sehen und da tote Juden liegen sehen usw. Das hat uns kolossal erschüttert, und wir machten uns damals auch schon unsere Gedanken darüber, was daraufhin geschehen würde.
Lehrer, 1920
Es war im Polenfeldzug, und wir hatten mal ein paar Tage frei. Ich ging mit einem Kameraden einer Schießerei nach: Was ist denn los? Der Krieg ist hier doch schon zu Ende?– Und da kamen wir an einen Erdwall, den wir erklommen hatten, und da hab’ ich gesehen, daß da ungeheuer viele Menschen standen, die da erschossen wurden, und da kam ein SS -Mann und jagte uns weg.– Die Leute gingen einen Hügel runter in das Tal hinein, wie ein Ameisenhaufen sah das aus, und unten wurden sie erschossen, immer: bruch! bruch! bruch!– » Warum macht man das denn?«– » Das sind Leute, die Sabotage gemacht haben.« Unten in der Grube lagen schon viele, die waren tot. Nicht nur Männer waren das.
Ingenieur, 1927
Ich wußte, daß es KZ s gab. Aber Vergasung war unbekannt. Mein
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