Habgier: Roman (German Edition)
müssen. Falls Holmes in den letzten fünfzehn Jahren unter irgendeinem Namen irgendwo im Gefängnis gesessen hatte, wären seine Fingerabdrücke im Zentralregister AFIS hinterlegt. Aber nachdem er ja seit zwanzig Jahren in San Jose als Vorzeigebürger lebte, war das unwahrscheinlich.
Decker hatte einen weiteren Einfall. Sollte Holmes jemals beim Militär gedient haben, sogar unter einem anderen Namen, wären seine Abdrücke in den Akten der Armee. Decker entwickelte lauter gute Ideen, als er von Kruses Stimme dabei unterbrochen wurde. »Ich gehe mal davon aus, Sie würden gerne mit Martin Hernandez sprechen?«
»Das wäre wirklich toll.«
»Sie bleiben hier, Sir. Ich bring Ihnen den Hundeflüsterer.«
36
Gestützt von Kruse auf der einen und Curly auf der anderen Seite, sah Martin Hernandez in seinem orangefarbenen Gefängnisoverall wie eine rollende Orange aus. Sein Leibesumfang betrug die Hälfte seiner Körpergröße, und sein Gesicht war fahl und voller grauer Bartstoppeln. Sein Gang entsprach einem langsamen Geschlurfe, was am Alter und an den Fußfesseln lag. Sie platzierten ihn auf einem der angeschraubten Stühle und ketteten einen Knöchel an einem Stuhlbein fest. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor seinem Bauch. Sein Hintern lappte über die Sitzfläche hinaus.
»Du wirst dich doch benehmen, Marty, oder muss ich dir Handschellen anlegen?«, fragte Kruse.
»Bin bald ein freier Mann, Sir.« Seine Stimme war hoch und rau. Wenn er lächelte, sah man nicht mehr viel von seinen Zähnen – ein paar Stumpen vorne und ein paar Backenzähne. »Und ich tu nichts, was das verhindern könnte.«
»Na, das klingt vernünftig.«
»Darf ich Sie um’ne Zigarette bitten, Sir?«
Kruse sah Decker an. »Stört es Sie?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Danke«, sagte Hernandez zu Kruse.
»Bedank dich bei ihm«, meinte Kruse mit Blick auf Decker. »Und jetzt nehme ich dich beim Wort, Martin, und erwarte, dass du anständig bleiben wirst. Liege ich damit falsch?«
»Ganz sicher nicht, Officer Kruse.«
»Dieser Mann möchte dir ein paar Fragen stellen. Du beantwortest sie wahrheitsgemäß und rückhaltlos, okay?«
»Okay, geht klar.« Hernandez presste die Worte beim Sprechen förmlich aus seiner Kehle heraus. »Eine Zigarette wär hilfreich. Und vielleicht noch’ne Tasse Kaffee. Meine Kehle.« Er hustete Schleim hervor. »Wird beim Reden ganz trocken.«
»Warum rauchst du dann, Marty?«
»Irgendwas muss man hier drin ja machen, Sir.«
Kruse lachte wieder. »Das stimmt, und ich bin gleich wieder da mit deinem Kaffee und einer Zigarette.«
Decker beobachtete den Häftling. Ein mehrspuriger Highway an weißen Narbenfurchen zog sich über seinen Hals, und es brauchte keinen Hellseher, um herauszufinden, was mit den Stimmbändern des Mannes schiefgelaufen war.
»Ich gehe wieder zu meiner Runde«, sagte Curly zu Kruse, »ruf mich, wenn du nachher Hilfe brauchst.«
Die beiden Männer verließen den Raum gemeinsam, so dass Decker mit Hernandez allein zurückblieb. Das Gesicht des Mannes war mit Leberflecken übersät, hatte aber kaum Falten. Einige kleine offene Wunden hatten sich auf seiner Stirn angesiedelt und sahen bösartig genug aus, um an Krebs zu denken. Seine Hände waren abgearbeitet und schwielig, die Nägel gelb, dick und kürzer als seine Fingerkuppen. Ihm fehlte ein Teil seines rechten Daumens.
»Wann werden Sie entlassen?«, fragte Decker ihn.
»Zwei Jahre, drei Monate, achtzehn Tage und ungefähr sechzehn Stunden. Ich verdien es,’n freier Mann zu sein. Hat das Gesetz so entschieden.«
»Werden Sie die Arbeit mit Hunden fortsetzen?«
»Ganz genau.« Hernandez’ Kopf wackelte auf und ab. »Wir verstehen uns. Die Hunde hier... die standen schon mit einem Bein in der grünen Zelle, wenn Sie wissen, was ich mein.«
Die grüne Zelle war die berüchtigte Gaskammer in San Quentin. »Sie haben sie also vor dem sicheren Tod gerettet.«
»Ganz genau. Unser Programm hier... war ihre letzte Chance. Wir trainieren sie, damit sie draußen einer adoptieren kann.«
»Eine tolle Sache.«
»War ihre letzte Chance... Ich war ihre letzte Chance.«
»Sie identifizieren sich mit den Hunden?«
»Ganz genau. Jeder verdient’ne zweite Chance. Sind keine schlechten Hunde. Keiner versteht sie. Das ist das Problem. Sie beißen, weil sie Angst haben. Sie beißen, weil sie einsam sind. Beißen, weil sie niemanden haben, der sie liebt.«
»Sie beißen auch, weil sie nicht erzogen und
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