Habgier: Roman (German Edition)
sein.«
Ein paar Minuten später brachte ein Wärter eine angezündete Zigarette herein. Decker nahm sie entgegen, und als Hernandez sich vorlehnte, um danach zu greifen, zog Decker seinen Arm bis außerhalb der Reichweite des alten Mannes zurück.
»Kommen Ihre Jungs ab und zu vorbei?«
Hernandez blieb stumm und verfolgte mit den Augen den aufsteigenden Zigarettenqualm.
Decker lächelte und zog an der Zigarette. »Kommen Ihre Jungs ab und zu vorbei?«
Hernandez zuckte wieder mit den Schultern. »Schätze mal, Sie haben die Besucherlisten überprüft.«
»Schätze mal, das hab ich.«
»Was fragen Sie dann?«
»Weil Raymond Holmes nicht der Taufname Ihres Sohnes ist.«
»Nö, hat ihn geändert.«
»Warum hat er ihn geändert?«
»Keine Ahnung. Fragen Sie ihn selber.«
»Vielleicht tue ich das noch. Wann hat er ihn geändert?«
»Ist schon lange her, aber das können Sie ihn auch selber fragen.«
»Geben Sie mir einen Anhaltspunkt. Vor zwanzig Jahren? Vor dreißig Jahren?«
»Schätze, so vor dreißig Jahren... gleich nachdem’s passiert ist.«
»Nachdem was passiert ist?«
Hernandez starrte in die Luft.
Decker nahm einen weiteren Zug. »Sie verschwenden Ihren wertvollen Tabak.«
»Na ja, ich weiß nichts Genaues, Sir, ich war nicht dabei.«
»Was war denn passiert laut Raymond Holmes, Ihrem Sohn?«
»Ja, Ray ist mein Sohn.«
»Sie können mir ruhig erzählen, was passiert ist, Martin. Sie können mir Rays Version der Geschichte erzählen.«
»Was brauchen Sie mich dafür? Fragen Sie doch einfach Ray!«
»Ray wäre nicht so... glaubwürdig. Sie sind glaubwürdiger, Martin. Erzählen Sie mir, was Ray Ihnen erzählt hat.«
Der Mann griff nach der Zigarette.
»Erst, was passiert ist«, stoppte Decker ihn.
»Er hat nicht viel erzählt, Sir, und das ist die Wahrheit. Hat nur gesagt, dass es nicht geplant war. Aber Sie wissen ja, wie’s ist. Wenn man total aufgeputscht ist von Drogen und Adrenalin, dann passieren eben Sachen, die nicht geplant waren.«
Decker nickte. »Verstehe.« Er gab dem Häftling die Zigarette. »Erzählen Sie mir, was er Ihnen gesagt hat. Ich kann das, was Sie mir sagen, nicht vor Gericht verwenden, denn das läuft unter Hörensagen. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Hernandez nahm einen tiefen Zug und antwortete nicht.
»Ich höre das, was passiert ist, aus Ihrem Mund, Martin, nicht von Ray. Das versteht man unter Hörensagen. Und es bedeutet, dass ich nichts von dem, was Sie mir erzählen, direkt gegen Ray verwenden kann, weil ich es nicht aus Rays Mund gehört habe. Also sagen Sie mir jetzt, was er Ihnen erzählt hat, okay?«
»Bin grade total durcheinander. Ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Martin. Ihr Junge steckt schon mitten in Schwierigkeiten. Großen Schwierigkeiten. Wenn es nicht geplant war, sagen Sie mir, was schiefgegangen ist.«
»Sie haben sich gestritten.«
»Wen meinen Sie?«
»Sie wissen schon... Beth und Ray haben sich gestritten.«
»Worüber?«
»Worüber streiten sich alle dauernd?«
»Geld?«
»Ganz genau. Ray hat Beth immer wieder geschworen, dass es nur geliehen wär und dass er’s zurückzahlt. Aber sie war wirklich wütend. Sie wollte nicht hören. Sie hat nur gesagt, wenn er’s nicht sofort zurückgibt, verpfeift sie ihn.«
»Woher hatte Ray das Geld?«
Zum ersten Mal sah Hernandez glaubhaft verwirrt aus. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, Ray hatte sich’n bisschen Geld geliehen und wollte es zurückzahlen, aber das Mädchen wollte verdammt noch mal nicht hören.«
»Okay, sie haben sich gestritten. Was passierte dann?«
»Es war alles ihre Schuld. Er wollte es zurückzahlen.«
»Und dann?«
»Ganz genau weiß ich’s nicht, Sir. Ray sagte nur, es war’n Unfall. Keine Absicht. Aber nachdems passiert war, wusste er, er steckt in der Scheiße.« Hernandez runzelte die Stirn, als er die Erinnerungen heraufbeschwor. »Er hatte vor, es zurückzuzahlen, aber Beth hätte ihn verraten. Das Mädchen war verdammt noch mal selber schuld.«
»Sie hat Ray angeschrien, oder?«
»Ja. Er wollte ihr nicht wehtun. Sie sollte nur endlich den Mund halten.«
»Er hat ihr mehr als nur wehgetan, oder?«
»Es war nicht geplant.«
»Ich weiß, aber es ist trotzdem passiert.«
Hernandez seufzte. »Er wollt’s ja zurückzahlen. Sie hat ihm nur keine Chance dazu gegeben.«
»Was passierte, nachdem er ihr wehgetan hatte... oder sollen wir besser sagen: nachdem er sie getötet hatte?«
»Ich red nicht mehr mit Ihnen«, sagte Martin
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