Habiru
den USA, dort gab es einen großen Börsencrash, 1929, der viele in den Ruin trieb. Die Gläubiger fielen einer nach dem anderen aus, weil ihre Forderungen wertlos wurden. Da platzten viele Seifenblasen. Deutschland musste zusätzlich große Summen an die Siegermächte des 1. Weltkriegs zahlen, das machte die Situation noch schlimmer. Und empfänglicher für die Schuldsuche.«
»OK, das verstehe ich. Vielen Dank für die Infos.«
»Keine Ursache!«
Herr Berger sah ihr noch mit gerunzelter Stirn hinterher, aber sie drehte sich schnell um und mischte sich in das Getümmel der anderen Schüler. In Wirklichkeit hatte sie kaum die Hälfte begriffen und insbesondere nicht, warum es nun zur Krise kam. Ihr schien das alles nur Symptome der Krise zu sein, nicht ihre Ursache. Warum platzten die Seifenblasen? Sie wollte nur nicht noch länger die wertvolle Zeit ihres Lehrers beanspruchen, vor allem weil der sonst bestimmt neugierig werden würde. Sie war wirklich nur mittelprächtig in Geschichte, wenn sie jetzt zu viel Interesse zeigte, würde das nur Herrn Berger misstrauisch machen. Er sah so schon irritiert genug aus. Sie setzte sich auf eine Bank am Rand der Pausenhalle.
Die Swastika gibt es also wirklich. Schena hat die Wahrheit gesagt. Mein Traum erzählt mir keine Lügen. Kurz kam in ihr wieder die Skepsis hoch, ob Schenas Welt wirklich existieren konnte, aber sie klammerte diese Frage einfach aus ihrem Bewusstsein aus.
Sie existiert. Sonst würde ich nichts über die Swastika und ihre eigentliche Bedeutung wissen. Ich wüsste nicht, woher ich das sonst wissen sollte. Im Geschichtsunterricht hatte ich das nicht. Und auch ansonsten erinnere ich mich nicht. Sie erwog die Möglichkeit, ob und wo sie etwas davon gehört haben könnte, ihr fiel aber nichts ein.
So schweiften ihre Gedanken weiter ab.
Symbole sind positive Abgrenzung gegenüber denen, die diese Symbole nicht kennen. Ihre Bedeutung existiert nur in unseren Köpfen. Was sie bedeuten hängt also hauptsächlich vom Empfänger ab. Symbole an sich sind weder gut noch böse, sie sind einfach. Was kann denn das Symbol des Zentrums und der Bewegung dafür, dass es missbraucht worden ist?
Trotzdem musste sie vorsichtig bleiben. Sie wusste ja, wie sie selber auf diese mittlerweile zum Schreckenssymbol verkommende Swastika reagierte. Anderen erging es bestimmt genauso, vor allem, wenn diese wie ihr Geschichtslehrer noch nicht einmal die ursprüngliche Bedeutung kannten, sondern nur den Missbrauch.
Jessica kam auf sie zu: »Da bist du ja, ich habe dich schon gesucht. Weißt du schon das Neuste? Bro'sis treten demnächst in Hamburg auf, da will ich unbedingt hin. Kommst du mit? Das wäre' doch stark.«
Sarah hatte inzwischen überhaupt keine Lust mehr auf Jessicas langweilige Welt, aber sie wollte ihre Freundin nicht enttäuschen und gab sich ein wenig dem Small Talk hin. Sie ließ sich sogar hinreißen, darüber nachzudenken, ob sie eventuell dahin mitgehen würde.
Zum Glück dauerte diese elendig flache Konservation nicht lange, denn da klingelte auch schon die Pausenglocke zur nächsten Stunde.
»Gehen wir?«
Sie gingen zurück zum Klassenraum, nun hatte sie Erdkunde.
Na ja, ist auch nicht so doll, aber immerhin habe ich da eine gute Note und Frau Dierks war auch ganz nett. Aber auch in der Erdkundestunde war sie nicht mit den Gedanken anwesend. Zu sehr spukten ihr Schena, die Swastika und der Bedeutungswechsel im Kopf rum.
Zu sehr, wie sie später merken sollte.
Frau Dierks war zwar eine nette Lehrerin, aber sie konnte auch streng sein. Sie
kam durch den Klassenraum geschlendert, auf der Suche nach jemandem, der die afrikanischen Staaten und Hauptstädte aufsagen sollte. Dabei kam sie an Sarahs Tisch vorbei und bemerkte anscheinend, wie abgelenkt Sarah war, denn sie malte völlig geistesabwesend auf ihrem Block herum.
»Sarah, was soll denn das?« Frau Dierks hatte ihre Stimme erhoben. »Was malst du denn da?«
Erst in diesem Moment begriff Sarah, dass die ein großes, dickes Hakenkreuz auf ihren Block gekritzelt hatte. Oh nein- wie sollte sie das nun erklären, vor allem wo sie vorhin Herrn Berger schon dazu etwas gefragt hatte? Sie war geliefert- und ihr Gehirn ratterte bei dem Versuch, eine Lösung zu finden, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Sie blickte sich um und dachte, was ihre Mitschüler wohl denken würden. Sie sah vor allem ungläubige, erstaunte Gesichter und bemerkte eine leichte Gespanntheit, es war auf einmal
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