Habiru
gütig. Sie sorgt für das Leben. Natürlich kann so etwas passieren, gerade vor drei Wintern hatten wir eine sehr schlechte Ernte. Aber wir können auch noch fischen und jagen. Es wird immer eine Sippe geben, die mehr hat als sie braucht und das gerne mit den anderen Sippen teilt. Es ist ein wechselseitiger Pakt des Vertrauens in die Güte und Fülle der Großen Mutter.« Sarah begann zu begreifen: »Ich verstehe. Wenn es wenig Nahrung gibt, haben alle wenig Nahrung.«
»Ja, so ungefähr. Aber uns geht es doch gut. Eridu ist fruchtbar, du hast doch die Felder gesehen, als du hierher kamst. Es ist genug für alle da.«
»Und die Sigura haben hier alles alleine hergerichtet? Wie viele Mitglieder hat diese Sippe denn?«
»Och, die sind so um die zwanzig, genau weiß ich es auch nicht, ich müsste mal durchzählen. Für das Fest hier haben alle mitgeholfen, es gibt da Regeln, wer wann mitzuhelfen hat. Nun ist aber erst mal genug mit deinen Fragen. Jetzt esst lieber etwas.«
Nestas deutete ihnen auf das Buffet.
»Und dann solltet ihr einfach die Feier genießen, Fragen kannst du mir hinterher oder morgen auch noch genug stellen.«
Sarah verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und hielt erst einmal ihren Mund. Klar, dass die andauernde Fragerei der Ehrwürdigen Mutter Nestas auf die Nerven ging.
Dabei wollte sie doch noch erzählen, was sie herausgefunden hatte.
Sie sah Schena an, die anscheinend erraten hatte, was ihr auf dem Herzen lag. Doch sie zuckte nur mit den Schultern.
Dann muss es eben noch warten. Alles hat seine Zeit.
Sie begannen damit, sich am Buffet zu bedienen und packten ihre Teller voll mit den vielen leckeren Köstlichkeiten, die dort aufgetafelt waren. Schena füllte drei bereitstehende Ton-Krüge mit Wein, es schien keine Bedenken zu geben, Alkohol an vierzehnjährige Mädchen auszuschenken. Sarah war etwas mulmig, sie hatte noch nicht oft etwas getrunken. Dennoch wagte sie es nicht, die Gastfreundschaft dieser Leute zu enttäuschen und es abzulehnen mitzutrinken. Arnek und Schena prosteten ihr zu, und so tranken sie alle drei von dem vollmundig schmeckenden, fruchtigen Wein.
3. Das Solevu-Fest
Schon kurze Zeit nach dem Essen veränderte sich die Szenerie. Der Platz um den Omphaloi-Stein wurde wie von Geisterhand geräumt. Jeder schien zu wissen, wo er sich hinstellen musste. Es bildete sich ein großer Kreis.
Schena flüsterte ihr zu: »Das ist der Kreis des Lebens, wie du siehst stehen Männer und Frauen immer abwechselnd nebeneinander und schauen ins Zentrum.«
Es sah beeindruckend aus. Viele der Frauen hatten prachtvolle Kleider an. Auch die Männer hatten sich festlich angezogen. Ein wahres Farbenmeer. Sarahs Augen wurden größer und größer.
Sie sprach leise zu Schena: »Nach welchen Gesichtspunkten wird denn da ausgewählt, wer in den Kreis darf?«
Die Masse der Menschen war jedenfalls nicht an dem Kreis beteiligt, sondern stand außerhalb.
»Früher waren alle Mitglieder des Stammes beteiligt. Das geht heute nicht mehr, es wären zu viele. Also stellt jede Sippe einen Mann und eine Frau für den Kreis. Es ist eine große Ehre, die Sippe im Kreis zu vertreten. Es müssen Seiende sein, ansonsten wird in der Sippe entschieden, wer das ist.«
»Kommt es da nicht zu Konflikten?«
»Nein, in den wenigen Streitfällen, die vorkommen, hat die Sippenälteste das letzte Wort. Außerdem ist Brauch, bei jedem Fest andere Sippenmitglieder diese Ehre zuteil werden zu lassen.« Das klang Sarah einleuchtend.
»Wir müssen nun still sein, schau mal, es geht los.«
Die Menschen im Kreis neigten ihre Köpfe und fassten sich an die Hände. Da erklang ein rhythmisches, vielstimmiges Trommeln. Sarah bekam eine Gänsehaut. Sie konnte zuerst nicht sehen, wo sich die Trommler befanden. Dann sah man sie - sie liefen aus allen vier Himmelsrichtungen auf den Kreis zu, es waren Dutzende, Männer und Frauen. Es bildeten sich Gassen für sie, in denen sie auf den Kreis zuströmten. Entweder hatten die Trommler eine Art Bongotrommeln vor sich hängen, auf denen sie mit der Hand den eingängigen Rhythmus schlugen, oder so etwas wie Pauken vor den Bauch geschnallt, auf denen mit Hölzern getrommelt wurde.
Die Trommler waren nun bei dem Kreis angekommen, und erst jetzt fiel Sarah
die Symmetrie der Veranstaltung auf. Die Trommler liefen aus ihren Gassen kommend immer abwechselnd nach rechts oder links. Schließlich befand sich zwischen jedem Paar des Kreises genau ein Trommler, und zwar auch noch immer
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