Habiru
und so wie man diesen Fall entscheidet, können auch zukünftig alle anderen Fälle entschieden werden. Wenn man nun ohne UN-Legitimierung in den Irak einmarschiert, kann das theoretisch ja jeder andere Staat auch machen. Was, wenn Nordkorea mit dieser Argumentation in Südkorea einmarschiert?«
Herr Schmidt war sichtlich erstaunt, obwohl Tobias sowieso zu den besseren Schülern gehörte. »Du hast es schon sehr gut gesagt. Das gefährliche ist wirklich, hier falsche Zeichen zu setzen. Jetzt versteht ihr vielleicht auch, warum man so hinter einer UN-Resolution hinterher ist. Was meint ihr, worum geht es in diesem Krieg wirklich? Lasst uns mal Punkte an der Tafel sammeln« Die Schüler der Klasse hatten gut aufgepasst, es fielen viele Argumente, die auch durch die Presse gingen. Nacheinander schrieb Herr Schmidt folgendes an die Tafel, wobei er Hilfestellungen gab, falls die Klasse nicht gleich auf das richtige Argument kamen: »Schutz vor Massenvernichtungswaffen« »Um Öl.« »Um Dominanz im Nahen Osten.« »Um Demokratie« »Um den Kampf gegen den Terrorismus.« »Um die Beseitigung eines Despoten« »Schaffung neuer Märkte« »Um Frieden in der Welt« »Rettung des Dollars als Welt-Leitwährung« »Testen neuer Waffensysteme« »Aufträge für US-Firmen«
»Könnt ihr nun entscheiden, welche Argumente davon von G.W. Bush und seiner Regierung benutzt wurden, und welche nicht erwähnt wurden? Und dann sagen, welche Wichtigkeit die Offiziellen Begründungen haben und welche die Nichtoffiziellen?«
Die Diskussion brachte Sarah eigentlich keine neuen Erkenntnisse. Trotzdem mischte sie sich aktiv ein. Die wichtigeren Ziele waren die nicht offiziell genannten. Und jedes der offiziellen Ziele klang zwar gut, konnte aber schnell als Tarnung, Täuschung oder Lüge überführt werden. Sarah brachte das mit den Massenvernichtungswaffen. »Lügen, nichts als Lügen, seitens der US- Regierung. Gefunden hatte man bis heute trotz UN-Inspektionen nichts. Das mit der Demokratisierung war ein weiteres Beispiel. Welches der Länder da unten ist demokratisch? Ist nicht Saudi-Arabien dickster Verbündeter der USA im Nahen Osten, aber eine Familien-Monarchie? Was ist, wenn die gar keine Demokratie wollen? Ist das Demokratie-Argument nicht nur ein gestricktes, damit wir Menschen im Westen den Krieg gut heißen?«
Herr Schmidt war angetan von Sarahs Ausbruch. Er nickte wohlwollend, und der kleine Vorfall wegen der Swastika war bestimmt schon vergessen. Er merkte ja, wie kritisch sie war, und wie wenig sich das nach rechtsradikalem Gedankengut anhörte. Sabine brachte das anfangs von Sebastian gebrachte Argument noch mal auf, die Beseitigung eines Tyrannen und Despoten, der sein eigenes Volk brutal unterdrückte und schon für unzählige Opfer verantwortlich war. Aber auch das erledigte sich schnell, dieses Mal meldete sich wieder Tobias zu Wort. »Aber es gibt auf der Welt noch Dutzende anderer böser Menschen, die ihr Land ausbeuten und Menschen unterdrücken, foltern und ermorden lassen. Teilweise werden mit denen gute Geschäfte gemacht. Außerdem habe ich ein Foto gesehen, da schüttelt der heutige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Saddam sogar die Hand. Er machte damals Geschäfte für die Reagan-Regierung. Vielleicht hat man ihnen sogar Massenvernichtungswaffen geliefert im Kampf gegen die Iraner.«
Herr Schmidt war sichtlich zufrieden mit der Stunde. Er führte noch ein Schlusswort aus:
»Die Doppelmoral, für die gerade die jetzige US-Regierung steht, ihre Lügen, ihre Täuschungen, ihr so offensichtliches Streben nach dem Öl dort zu vertuschen, führen zu starken internationalen Verstimmungen. Die Proteste gestern waren ja nur ein Zeichen davon. Die Welt hat genug von Kriegen, die für Öl und Geld geführt werden. Und dennoch passieren sie auch heute noch, und auch heute lassen Menschen auf beiden beteiligten Seiten ihr Leben. Wir sollten auch hier an dieser Schule ein Zeichen setzen und demonstrieren.«
Anschließend trafen sich alle Schüler und Lehrer in der Aula und machten eine Friedensdemo. Die Lehrer hatten sich also vorher abgesprochen. Anscheinend wurde in allen Klassen eine Stunde zum Irak eingelegt. Es war ganz entspannend. Sie hockten sich hin und sangen mit Gitarren-Begleitung des Musiklehrers Herr Fandrey »Give peace a chance« von John Lennon.
Obwohl das schön war, war es dennoch völlig sinnlos. Immerhin hatten weltweit Millionen Menschen auf der Welt gegen den drohenden Irak-Krieg
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