Habiru
schien. In dem Zusammenhang fiel ihr ein, auch noch niemand irgend etwas bezahlen gesehen zu haben.
Sie musste konkreter fragen. »Wie bezahlt denn der Steinkundige seine Nahrung? Wenn er mit Steinen arbeitet, kann er doch keine Nahrung anbauen, suchen oder jagen.«
»Da hast du recht. Das muss er aber, und er macht das bestimmt auch gerne. Ich hab' es dir beim Solevu-Fest schon gesagt. Wir leben in einem fruchtbaren Land, es braucht nicht viel Zeit, um sich selbst zu versorgen. Meist hat man sogar so viel Essen über, dass man nicht nur mit seiner Sippe teilt, sondern mit allen. Es ist etwas wunderbares, mit anderen zu teilen und sie so zu beschenken. Denk an das Solevu-Fest, wie die Egura ihre Ernte mit allen teilten.«
»Aber um etwas ernten zu können, muss man doch erst einmal Land besitzen. Was ist mit denen, die kein Land haben?«
In Nestas Blick erkannte Sarah wieder das obligatorische Unverständnis. Beinahe empört antwortete sie: »Man kann doch Land nicht besitzen, man kann es nur nutzen. Und der Nutzen ist für alle da, für alle Menschen, alle Tiere, alle Pflanzen.«
Sie musste etwas skeptisch ausgesehen haben, Nestas versuchte ihr es anders zu erklären: »Schena, du hast doch bestimmt einen Beutel mit deinem Besitz.« »Ja, klar.«
Sie holte einen kleinen Lederbeutel hervor, der an ihrem Gürtel befestigt war, und öffnete ihn. Sowohl Nestas als auch Sarah schauten auf den Inhalt. Da war ein Stein mit einem Loch drin. Und ein kleines, silbernes Schmuckstück, es sah aus wie eine Brosche. Und eine schwarze Haarlocke.
»Siehst du? Solche Andenken kann man besitzen, aber nicht die Erde!«
Und an Schena gewandt: »Das sind ganz hübsche Andenken. Erzählst du uns ihre Geschichte?«
Schenas Augen leuchteten. »Die Locke ist von Inanna. Sie gab sie mir an meinem dritten Jahrestag.«
Sarah wunderte sich gerade, wie schnell Inannas haare schneeweiß geworden waren, als Schena weitersprach. »Die Brosche ist ein Geschenk von einem Händler, der letzten Sommer in unser Dorf kam. Er hat sie mir einfach so geschenkt.«
Schena verstummte, und machte keine Anstalten, weiter zu sprechen. »Und der Stein?«
Nun war auch Sarah neugierig, was es mit dem letzten Artefakt in Schenas Sammlung auf sich hatte. »Das ist mein wertvollster Besitz. Er ist von Katal. Er hat ihn im Ediglat gefunden, als er auf Fischfang war.«
Das war natürlich keine Überraschung.
»Siehst du? Es sind nicht die Dinge, deren Besitz wichtig ist, sondern ihre Geschichte. Weil sie uns daran erinnern, dass wir Menschenkinder sind, und wir uns gegenseitig beschenken, um unsere Zuneigung und Liebe zu zeigen.« Sarah spürte die Weisheit dieser Worte, und begriff intuitiv, das diese Geisteshaltung sich grundsätzlich von der aus ihrer Welt unterschied. Sie traute sich nicht zu sagen, wie schlimm es wirklich war, ja schlimmer noch, ihr wurde es erst langsam bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihren Welten tatsächlich war.
Mittlerweile waren sie weitergegangen. Sarah fiel noch etwas ein: »Was ist denn mit den Hütten? Braucht man dafür kein Geld? In meiner Welt müssen wir jeden Monat Miete zahlen. Dafür geht bestimmt die Hälfte des Einkommens meiner Eltern drauf.«
»Nein. Ich kenne kein Geld, wie du es beschreibst. Ich erkenne auch keinen Sinn darin. Wenn jemand eine Hütte benötigt, nehmen wir uns was wir brauchen, und alle helfen beim Bau mit. Dafür braucht es kein Geld.«
Sarah war perplex, konnte das wirklich sein? Ohne Geld zu leben? Sie konnte sich das keine Sekunde vorstellen, dennoch war sie tief in ihrem Inneren überzeugt, dass Nestas Erstaunen echt war und es hier wirklich keinerlei Form von Geld gab.
»Und ihr habt wirklich so viel Zeit über?«
»Natürlich. Uns bleibt viel Zeit, in denen wir einfach unseren Interessen nachgehen, oder in der wir einfach in der Natur umherwandern, um den Geist der Großen Mutter zu fühlen. Oder in denen wir uns Visionen hingeben.« Sarah fühlte sich um etwas Großes beraubt, was sie nicht näher in Worte fassen konnte.
»Und diese Interessen führen dann zu Beinamen wie Steinkundige, Kräuterkundige oder Sternkundige?«
»Ja, so ist es. Steinkundige schneiden und verzieren Steine, unsere Sternkundige beobachten den Himmel und führen Berechnungen über die Himmelskörper durch, Kräuterkundige sammeln Pflanzen und machen Medizin, unsere Kunstkundigen töpfern und bemalen Keramik, unsere Wasserkundigen bauen Kanäle. Es gibt noch viele weitere Interessen. Jeder macht das, was
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