Habiru
ihm am besten gefällt und liegt.«
So in etwa hatte es Schena ihr ja auch schon erklärt. Was für schöne Berufe es doch hier gab! Wie schön es doch wäre, wenn auch in ihrer Welt jeder das tun könnte, was ihm gefällt. Sie dachte unwillkürlich an ihren Vater, den sie schon so oft nörgelig und launisch erlebt hatte, weil ihm sein Job überhaupt nicht passte und er unter seinen Vorgesetzten zu leiden hatte. Oder an Jessicas Vater. Der war noch schlimmer.
Schena war die ganze Zeit aufmerksam neben ihr hergegangen und hatte zugehört. Sie zeigte ähnliches befremden wie Nestas, als es um das Thema Geld ging. Wie Sarah Schena anschaute, fiel ihr dennoch etwas ein, was sie sich ohne Geld auf keinen Fall erklären konnte - es war der Gedanke an Arnek, der auf den Markt gehen wollte.
»Das ist ja alles gut und schön, aber ihr treibt doch auch Handel, und Arnek ist doch auf einen Markt gegangen. Wie bezahlt ihr dort?«
»Nun, jede Arbeit und jedes Gut hat einen eigenen Wert. Den kann man immer in einem Tauschobjekt festlegen.«
»Aber wenn man nichts zum Tauschen hat, oder wenn man nicht das richtige hat?«
»Glaube mir, es gibt immer einen Weg. Du denkst komplizierter, als es in Wirklichkeit ist.«
»Bei uns würde es nicht funktionieren. Man würde immer versuchen, sich selbst zu übervorteilen, in dem man etwas Billiges gegen etwas Teures tauscht, damit man Gewinn macht. Und um den richtigen Wert für einen Tausch festzumachen, ist Geld unerlässlich. Stellt euch mal vor, ich wollte einen Stoffmantel haben, und würde dafür ein Schwein anbieten, fände es aber nur vertretbar, maximal ein halbes Schwein einzutauschen. Was dann?«
Nestas zog wieder mal die Augenbrauen hoch.
»Also erstens bist du ja derjenige, der die Arbeit vom Schneidkundigen haben möchte, und er es dir überlassen würde, den richtigen Wert anzusetzen. Zweitens könntest du dein Schwein auch noch in etwas anderes eintauschen. Und drittens gilt bei uns die Regel, nur wenn ich großzügig bin und mehr gebe als verlangt wird, ist es ein guter Tausch. Ein Übervorteilen wie du es schilderst gibt es hier nicht.«
Sarah überlegte, woran das liegen könnte, und ob das wirklich funktionieren könnte. Wahrscheinlich lag es an der Philosophie der Großen Mutter und der Einstellung zum Schenken.
Sarah hatte etwas anderes auf dem Herzen:
»Wir sind ganz schön von der eigentlichen Frage abgekommen. Ich hatte eigentlich nur wissen wollen, warum man bisher solch ein Geheimnis daraus gemacht hat, wie man bei euch Steine formt und bewegt, die tonnenschwer sein müssen.«
Nestas schmunzelte. »Wenn wir diese Themen besprochen haben, wird das schon richtig sein. Jedes gesagte Wort ist in dem Augenblick, in dem es gesprochen wird heilig und von magischer Essenz. Und es gibt einen einfachen Grund, warum dir niemand etwas dazu sagen möchte. Der heißt Respekt vor der Arbeit der Steinkundigen. Es erscheint selbst mir immer wieder wie ein Wunder, wenn ich sehe, wie über Generationen Dinge Gestalt angenommen haben.«
Jetzt war es Sarah, die stutzte und Laut gab: »Das verstehe ich nicht - ihr arbeitet über Generationen an einer einzigen Sache? Dann sieht man doch die Früchte seiner Arbeit nie in Formvollendung!«
»Das mag für ein Leben gelten - aber da alles Leben im Kreislauf der Natur auf ewig immer wieder neues Leben formt, ist das unwichtig. Ein Sprichwort der Großen Mutter lautet: Hinterlasse die Welt besser, als du sie vorgefunden hast. Damit auch deine nachkommenden Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden, weil du schließlich selbst, in welcher Gestalt des Lebens auch immer, betroffen sein wirst.«
Das war zu viel, darüber brütete Sarah erst einmal. Ihr fiel gar nicht auf, wie ruhig es nun war, sosehr war sie im Gedanken versunken, als ihr Verstand um das Thema Wiedergeburt kreiste.
2. Beim Steinkundigen
Nach ungefähr einer Stunde waren sie bei der Hütte angekommen. Der Steinkundige hatte hier eine wunderschöne Tholoi mit den gleichen rötlich schimmernden Tonziegeln wie in Eridu gebaut.
Sie lag in einem Tal, rechts neben einem Hang, der ebenfalls von dem weißen Gestein glänzte, und an den Bearbeitungsspuren sichtbar waren. Es arbeiten mehrere Männer und Frauen in dem Tal.
Aha - es gibt auch weibliche Steinkundige ging Sarah durch den Kopf. Natürlich hatte sie das vermutet, aber noch keine Gewissheit darüber. Nestas rief nun einem groß gebauten, kräftigen Mann zu, der um die Vierzig sein musste. Er saß auf einen
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