Habitat C (German Edition)
zu projizieren, und Grant fand, dass auch die neueste Generation dieser biomechanischen Wunderwerke immer noch nicht das gleiche Körpergefühl ermöglichten, das er im Leib der Präsidentin genoss. Dennoch war er dankbar für diese sündhaft teure und seltene Technologie, denn sie erlaubte ihm, über die Hyperfunkverbindung direkt und körperlich in die Ereignisse am Habitat C einzugreifen. Einmal mehr verfluchte er, dass die Verfassung die Sitze von Parlament und Regierung räumlich getrennt hatte. Das war nicht weiter schlimm im täglichen Geschäft, denn fast zeitlose Kommunikation war ja jederzeit möglich. Wenn es aber Krisen zu bewältigen und besonders wichtige Verhandlungen zu führen galt, bemerkte man schon den Unterschied darin, körperlich anwesend zu sein oder nicht. All die subtile Macht von Gestik und Mimik, die wichtigen Gelegenheiten, in den Kaffeepausen noch einmal mit diesem oder jenem am Rande ein paar zentrale Worte wechseln zu können, die beiläufige Vertraulichkeit einer Berührung am Arm, an der Schulter, der direkte, unverstellte Blick in die Augen – das war durch Kommunikation über Bildschirme oder auch Holografien letztendlich nicht zu ersetzen. Carol Myas wusste das, Grant wusste es seit Jahrhunderten und so hatten sie beide die Fortentwicklung der biomechanischen Avatare mit diskreten Budgetzuweisungen stetig vorangetrieben. Grant war dabei derjenige, der diese Technologie am häufigsten nutzte; als jemand, dessen eigener Körper ohnehin relativ irrelevant und in physischen Dingen fremdbestimmt war, fiel es ihm besonders leicht.
Und er hatte es am notwendigsten.
Tatsächlich, und das würde er Carol gegenüber niemals zugeben, war es manchmal so etwas wie eine Befreiung. Sensorische Begrenzungen und winzige zeitliche Verzögerungen, die durch die Hyperfunkrelais entstanden, nahm er dabei in Kauf. Hier steuerte er einen kraftvollen und attraktiven Leib und war nicht nur Gast. Es war ein erhebendes Erlebnis und er nahm es wahr, sooft er nur konnte, und manchmal auch, wenn es gar nicht nötig war. 36 Körper hatte er in der Akte stationiert, die er jederzeit ansteuern und aktivieren konnte. Damit deckte er wichtige Sektoren und potenzielle Problemfelder ab. Sein Ziel war es, wenn er das Geld dafür zusammenbekam, diese Zahl auf mindestens 100 zu erhöhen. Er experimentierte auch mit weiblichen Avataren. Grant sah sich selbst als maskulin, wenngleich diese Unterscheidung bei seiner Spezies etwas fließend war. Aber durch seine Wirtin hatte er zahlreiche Einblicke in die Verhaltensweisen von Frauen erlangt und er traute sich zu, diese auch in der Steuerung eines weiblichen Körpers überzeugend umsetzen zu können, inklusive aller Stimmungsschwankungen, die hormonell bedingt waren.
Außerdem mochte Grant Schuhe. Das half sicher.
Jetzt aber marschierte er in der männlichen Version in die Einsatzzentrale von Habitat C, umgeben von aufgeregten Sicherheitsoffizieren, die alle noch aufgeregter wurden, als sie realisierten, wer da unter ihnen weilte und sich aus irgendwelchen Gründen …
»Wir haben nicht mit Ihnen gerechnet, Minister«, erklärte einer der Uniformierten.
»Die Präsidentin ist beunruhigt.«
»Wir haben die Situation unter Kontrolle.«
Die große, die ewige Lüge.
Grant machte eine ausholende Bewegung, die das ganze Chaos abdeckte.
»Das wirkt aber nicht so.«
»Es waren unvorhergesehene Ereignisse …«
»Ja. Wie ist der Stand der Dinge?«
»Hierher bitte.«
Der Mann führte Grant an eine dreidimensionale Darstellung des Orbits, mit Habitat C als großem Icon direkt in seiner geostationären Laufbahn.
»Nachdem die Explosion erfolgt war, haben wir sofort reagiert. Wir haben den Orbit gesichert und suchen nach Resten des zerstörten Fahrzeugs. Wir haben Bodentruppen entsandt und beginnen eine Suchaktion. Es ist derzeit Nacht und es gibt heftige Sandstürme, dadurch sind wir ein wenig behindert, aber wir haben alle notwendigen Kräfte mobilisiert. Die Station hatte bereits vorher Alarm geschlagen, jemand ist in das Ausrüstungslager eingedrungen und hat sich reichhaltig bedient.«
»Ein Einbruch?«
»Nun … eigentlich nicht. Es wurde ein gültiger Militärcode verwendet. Wir vermuten, dass es sich dabei um eine Aktion von Sergeant Zant handelt. Daxxel muss bei ihr gewesen sein.«
»Dafür haben Sie Hinweise?«
»Nein, es ist nur eine Vermutung.«
»Genauso wie Ihre Aussage, alles unter Kontrolle zu haben?«
Der Offizier war gut. Er verzog nicht
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