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Hacken

Hacken

Titel: Hacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Braun
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Geschichte umgeschrieben werden musste. Die Gruppe um den Archäologen Hartmut Thieme konnte mit diesem Fund eine Theorie mit Fakten untermauern: So lange schon haben Humanoide die Großwildjagd betrieben. Zum Beispiel nach Wildpferden trachteten ihre Speere.
     
    Noch näher liegt mir in Evessen die Bronzezeit. Direkt vor meinem Fenster, zehn Meter Luftlinie sind das, offenbart sich das Transzendente in Gestalt des Tumulus. Das Hoch, wie diese Hügel auch genannt werden, gehört zu den heißen Teilen der Archäologiefans, ebenso wie der Harz als »klassische Quadratmeile der Geologie« und die Schöninger Speere: Fläche, Kugel, Strich. Darauf sitzt ein halbierter Kreis. So prototypisch sieht das Fürstengrab nach 4000 Jahren noch aus. Immer wieder hat das Dorf eine Öffnung des Tumulus zu verhindern gewusst. Dem Wahrzeichen von Evessen ist deshalb das Schicksal der Hochs in der Umgebung erspart geblieben. Es ist nicht weiter beschädigt, und kein Mensch ist im Besitz einer wissenschaftlichen Wahrheit, die auf Fakten fußen könnte. Die Bestimmung des Tumulus bleibt umstritten. Er könnte aus der frühen Bronzezeit stammen oder als Grab eines sächsischen Adelsgeschlechtes im sechsten Jahrhundert nach Christus gedient haben, so die Dorfchronik, verfasst von Eckehard Hillmar und Gerhard Apelt. Diese Ungewissheit bringt den Tumulus so richtig ins Glitzern. Im September hören die Blätterder Linde, auch sie schon achthundert Jahre alt, auf zu leuchten. Die ersten Blätter färben sich, wechseln von grün zu braun, das Bild erinnert jetzt noch stärker an ein Plattencover, das mir sehr lieb ist.
     
    Mutet der Tumulus doch an wie eine Schildkröte. Während sie schlief, ist ihr ein Strauch aus dem Rücken gewachsen. Das erinnert an Julian Cope, einen der Großproduzenten von Freakyness. »Namdam am I, I am Madman« etwa, diese Selbststilisierung ist abgedruckt auf dem Cover zu
Fried:
Ein Album, das den ehemaligen Sänger der Psychedelic-Popper The Teardrop Explodes als paganistischen Prediger stilisiert. Sonnenanrufe, Fabeln. Mittlerweile bezeichnet sich Cope selbst als Druiden, trägt Rocker-Kluft und hat bereits zwei Bücher über das Neolithikum in Europa verfasst. Ein Verrückter auf dem Hügel vielleicht, seine Seite
Head Heritage
jedenfalls schöpft Entertainment aus Archäologie, Geschichtswissenschaften und Gaia-Kram, krude verschnitten mit der nordischen Sagenwelt. Schon auf dem Cover von
Fried
trägt Cope ja nichts als einen Schildkrötenpanzer.
     
    Noch bildet die Linde auf dem Tumulus einen Vorhang aus Blättern. Er schirmt die alten Geschichten ab und bietet ihnen einen Innenraum. Sie kreisen dort rundherum, alter Aberglaube von Zahnschmerz und Nagel, von Riesen und dem Stück Dreck, von den Verurteilten, die im Mittelalter an der Linde gehängt wurden. Im Sommer so werde ich lernen, zirkulieren hier die Geschichtenvon Bedeutung: Wie die Braunschweiger Eintracht gespielt hat und die Wolfsburger, wer bei DSDS die Show geliefert hat und ob die Neuauflage der Playstation was taugt. Tumulus im Sommer ist der Jugendtreff. Bierflaschenzirkus. Je stärker die Lindenblätter nachdunkeln, desto größer ist die Chance, eine Gruppe 14-Jähriger zu Michael Jackson tanzen zu sehen. Wenn der Mond dickt und den Tumulus beleuchtet, dann wirkt dieser Ort wie eine Bühne. Die Welt mag sich vielleicht nicht ereignen hier. Die Zeit hingegen, sie geht vorüber.
     
    Und Ende November 2005 heißt es endlich: Internet geht. Die Seiten über das Neolithikum oder über die Geschichte des Elmgesteins verblüffen mit Detailkenntnis. Nur die Grafik dieser Web-Seiten lehrt mich, aus Furcht das Knie zu beugen, doch mir genügt in diesen Monaten das schiere Wissen um die neuen Orte, an denen ich lebe. Allmählich schält sich also ein Szenario des besten Falls heraus, jetzt, wo mir die Selbstverständlichkeiten des E-Mail-Schreibens und des Surfens im Netz wieder als Selbstverständlichkeiten zur Verfügung stehen. Das Web fundiert die Erfahrungen, die ich an einem ganz bestimmten Ort durchlebe. Es kann dabei Spezialwissen vermitteln es, ist vielleicht sogar das beste Medium, um Spezialwissen zu vermitteln, wie ich nicht nur bei meinen Musikrecherchen erlebe, sondern auch auf der Suche nach der Bodenbeschaffenheit des Buchenwaldes Elm. Mit MySpace ist das Web als Austauschmedium bereits in Entwicklung, wobei ich mich der Mitgliedschaft dort verweigere:zu hässlich, zu umständlich und voller Spam erscheint mir diese Seite. Ihre

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