Hacken

Wimmeln des Marktes hat sie sich erhoben. Eine Möglichkeit, sich den Richtigen auszuwählen, scheint nicht mehr zu bestehen. Einzig SNAFUist zu trauen, seit Jahren zahle ich für meine E-Mail-Adresse, damit die Mails mit den vielen ungenannten Empfängern auch ankommen. Die Telefonie- und DSL-Anbieter jedoch verhalten sich ohne jeden Respekt gegenüber den Kunden. Der alte zögert die Netzfreigabe auf das Extremste hinaus. Die Firma, zu der wir gewechselt sind, scheint schlicht überfordert. Erreichbar ist nie jemand, und klare Auskünfte gibt es nicht.
     
    Der Konkurrenzkampf ist doch so hart! Im Evessener Pfarrhaus trifft sich jeden Donnerstagvormittag der Spielkreis für Kleinkinder. Die Kinder schlagen auf Töpfe, die Eltern trinken Kaffee. Schon werden 1000 ganz legale Ebay-Tipps gereicht; viele von ihnen ragen jedoch auch ins Halb- bis Illegale hinein. Mehr noch als die Markenbildung von Amazon, das ja einfach funktioniert wie der digitale Katalog eines Versandhauses, spricht der Erfolg von Ebay von der Selbstverständlichkeit, zu der das World Wide Web im Jahr 2005 geworden ist. Denn die Evessenerinnen und Evessener nutzen die Seite vor allem als eine Art digitalen Flohmarkt, etwas Altbekanntes, umweht vom Hauch des Neuen. Paypal und weitere Vertrauensgarantien stecken zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen: Das Vertrauen, das in den Online-Handel von Privat zu Privat gesteckt wird, erfordert Risikobereitschaft und verändert die Sitten. Wildfremden Menschen teilt man Bankdaten und Adresse mit. Und ganz normale Eltern bilden kleine Ebay-Kartelle: Preis- und Gebotabsprachen werden hier getroffen, bietest du bei meinem Sofa mit, dannkannst du mit meiner Teilnahme an deiner Fahrrad-Auktion rechnen, damit der Preis in die Höhe geht. In den Web-Betrieb wird also viel Energie gesteckt, viel Zeit und sogar ein wenig kriminelle Energie.
     
    Nix Ebay für mich. Fürs Erste, für diese ersten drei Monate, bin ich dazu verdammt, nur das Allernötigste on-the-line zu erledigen. Das Auslagern des Web-Zugangs zerschnippelt meinen Tag. Als wäre er nicht ohnehin schon kleingehäckselt: schreiben und telefonieren, einkaufen und abwaschen, Liebe. Mascha mit dem Nötigsten versorgen, mit Liebe.
    SCHÖNHEITSINSELN
    Für Liebe ist immer Zeit. Muss Zeit sein, ist auch immer Zeit für die Liebe zum Kind. Das gehört zu den Besonderheiten des Elternlebens. Schneiden die Aufträge auch schnippisch in die Tage, in die Nächte. Aus dem Gleiten durch die eigene Biografie, Grundbestandteil des gemeinsamen Älterwerdens mit einem Säugling, ragen immer wieder diese Inseln hervor. Sie ragen heraus aus einem Meer der Ultra-Alltäglichkeiten. Der Tumulus auf der Asse, sturmumtost; die Wabe oberhalb Erkerodes mit ihren Regenbogenforellen und die Spukgaststätte im Reitlingstal, deren Herberge leider vor Jahren geschlossen worden ist. Die ganzeGegend ist mir unvertraut, das schärft meine Wahrnehmung. Nichts von alldem habe ich je zuvor gesehen, von nichts hier habe ich je zuvor gehört. Weder auf Bildern, noch bei Wikipedia.
     
    Schönheit, großes Wort. Von dringlicher Bedeutung in dieser Bedeutungsgalaxie ist mir die Transzendenz. Verdichten all dessen, was der Tod beendet. Dem eine Form geben, was nach dem Tod von mir da sein wird in der Welt der Menschen. Verdichten von Sinneseindrücken im allerweitesten Sinn, Naturerfahrungen, Medienberichte, gesellschaftliche Entwicklungen, Machtfragen, also Politik, also Identitäten und da besonders die Geschlechteridentitäten, Machen und Theorien vom Machen bilden. Und vom Gemachten. Das Wolfenbütteler Land, hierher bin ich nun geraten, gibt neue Tipps für das Reisen entlang des Transzendenzhorizonts. Entlang einer Markierungslinie, auf deren anderer Seite das Unbeleuchtete liegt. Der Ort, an dem jede Religion, jeder Kult spezifische Sehnsuchtsorte errichtet.
     
    In den Furchen und Mulden, Gipfeln und Tälern des Harzes und des Harzvorlands zeigt sich die Geologie Mitteleuropas. Bis zu 350 Millionen Jahre alt sind die Platten aus Grauwacken und Granit. Wie ein Ausschnitt aus dieser Landbildung zeigt sich der Steinbruch über Evessen: Hier treten Muschelkalkfossilien zutage. Die Gewerke der Erde lassen sich in ihre Zeitleisten schauen. Danke! Und die Menschen haben sich in diesen Chroniken verewigt. Dort, wo ich mit unserer Tochter Mascha schwimmen gehe, inSchöningen, sind im Jahr 1994 einige Jagdspeere gefunden worden. Sie sind etwa 400   000 Jahre alt. Ihr Fund hat bewirkt, dass die