Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
hatte. Annika Dorn hatte Geld abgehoben. Eintausend Euro. Und zwar am Tag ihrer Ermordung, morgens um sechs Uhr siebenundvierzig am Geldautomaten der Sparkasse in Thon. Kurz entschlossen hinterließ er Wünnenberg, der irgendwo im Labyrinth des Präsidiums unterwegs war, eine Notiz und schnappte sich seine Jacke vom Türhaken.
Die Sparkasse war in einem modernen, nach außen hin komplett verglasten Gebäude untergebracht, vor dessen Eingang ein langer Zierteich angelegt worden war. Im Sommer musste das Eck trotz der stark frequentierten Erlanger Straße fast idyllisch anmuten.
In der Filiale ging es äußerst ruhig zu. Am Rosenmontag schienen nur wenige Kunden Geldgeschäfte erledigen zu wollen. Hackenholt ließ sich beim Leiter anmelden, dem er die richterlichen Dokumente vorlegte. Der stämmige Enddreißiger holte sich die Auszahlungen des Geldautomaten auf den Bildschirm und bestätigte, was Hackenholt schon wusste. Mit Annika Dorns Scheckkarte waren am Samstagmorgen eintausend Euro abgehoben worden. Der größtmögliche Betrag, den man pro Tag auf diese Weise erhalten konnte.
Da längst nicht jeder Automat kameraüberwacht wurde, erkundigte sich Hackenholt nach der Ausrüstung der Filiale. Er wollte sichergehen, dass es Frau Dorn selbst gewesen war, die mit der Karte das Geld geholt hatte. Er hatte Glück. Da im letzten Winter wiederholt ein Obdachloser im Schaltervorraum übernachtet hatte, war die Filiale erst kürzlich nachgerüstet worden.
Hackenholt folgte dem Chef in einen Tagungsraum mit Fernseher und Videorekorder. Ein paar Minuten später wurde das frisch getauschte Band gebracht. Anhand der Zeiteinblendungen ließ sich schnell die gesuchte Stelle finden. Dennoch spulte der Sparkassenleiter den Film ein Stück weiter zurück als notwendig. Das Erste, was Hackenholt sah, war ein Mann, der den Schalterraum betrat. Er ging zum Automaten, hob Geld ab und wandte sich anschließend dem Kontoauszugsdrucker zu. Dann betrat Annika Dorn den Raum.
Es war immer ein komisches Gefühl, wenn Mordopfer quasi wieder lebendig wurden. Frau Dorn grüßte den anderen Kunden mit einem kurzen Nicken und lief dann zielstrebig zum Geldautomaten. Während sie auf die Scheine wartete, blickte sie sich um. Einmal sogar direkt in die Kamera. Und just in diesem Moment sah Hackenholt die Kette an ihrem Hals. Für einen kurzen Augenblick schaute ein kleines Stück unter ihrem offenen Mantel hervor, aber das genügte, um Hackenholt erkennen zu lassen, dass die Aufzeichnung im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert war. Auch über die überdurchschnittlich gute Qualität der Aufnahme war er erstaunt. Dafür, dass das Band immer wieder überspielt wurde und Überwachungskameras ganz allgemein tendenziell schlechte Bilder lieferten, waren diese hier überraschend deutlich. Sogar Details konnte man erkennen.
Annika Dorn drehte sich unterdessen um, nahm ihr Geld, stopfte es in die Aktentasche und eilte schnellen Schrittes zum Ausgang. Damit war sie aus dem Bereich der Kamera verschwunden, und nur wenige Sekunden später verließ auch der andere Kunde die Bank.
»Ich muss das Band leider beschlagnahmen«, erklärte Hackenholt.
Der Filialleiter nickte. Er hatte nichts anderes erwartet und hielt schon ein entsprechendes Formular bereit.
»Außerdem muss ich wissen, wer der andere Kunde war. Kennen Sie ihn?«
»Nein, ich selber habe nichts mit Privatanlegern zu tun, ich kümmere mich nur um Geschäftsklienten. Aber vielleicht kann Ihnen Frau Schulz ja weiterhelfen.«
Das konnte die ältere Kassiererin in der Tat. Als sie das Video sah, erkannte sie sofort Francesco Mauro. Nach einigem Hin und Her suchte sie dessen Adresse heraus.
Hackenholt fuhr zurück zum Präsidium. Die dem Opfer vom Hals gerissene Kette konnte zu einem wichtigen Indiz werden, wenn es um die Überführung des Täters ging. Das Video musste zum Erkennungsdienst, damit Vergrößerungen von Bildausschnitten gefertigt werden konnten. Erst wenn das erledigt war, wollte er mit einem Kollegen zu dem Zeugen fahren. Francesco Mauro würde ihm in der Zwischenzeit schon nicht davonlaufen.
Auf dem Weg zu seinem Büro fragte der Hauptkommissar in der Einsatzzentrale, die zu den modernsten Europas zählte, nach, ob es in der Fahndung nach Ludwig Kork etwas Neues gab. Doch der diensthabende Kollege schüttelte nur bedauernd den Kopf.
Anschließend brachte Hackenholt das Videoband zum Erkennungsdienst und bat um eine Kopie des Abschnittes, in dem sich Frau Dorn in der
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