Hackschnitzel
greifen, doch er fasste ins Leere.
Er schlug hart und schmerzhaft auf, die wenigen Zentimeter Neuschnee dämpften seinen Fall nicht.
Gelähmt vor Schreck und unfähig, sich zu bewegen, riss er die Augen auf.
Er lag platt auf dem Bauch und starrte direkt auf den Kopf der Frau, die mit dem Gesicht nach unten kaum zwanzig Zentimeter von ihm entfernt ebenfalls im Schnee lag. Die Kapuze hatte sich beim Fallen bis in ihren Nacken zurückgeschoben.
Lindt streckte den Arm aus, zuckte aber blitzartig zurück. Er spürte es feucht und warm durch die Wolle seines Handschuhs.
Vorsichtig hob er seinen Oberkörper etwas und konnte über den Kopf der völlig regungslos daliegenden Frau hinwegsehen. Was sich dort im Schnee dunkel und dampfend ausbreitete, war zweifellos Blut.
Der Kommissar stemmte sich auf die Knie. Er rüttelte an der Schulter – »Hallo« – »Frau Steinle« – »Können Sie mich hören?«
Keine Reaktion.
Lindt riss sich den rechten Handschuh herunter und tastete unter dem Pelzkragen ihrer zurückgeschobenen Kapuze nach vorne. Vorsichtig schoben sich seine Finger am Hals entlang bis fast zum Kehlkopf.
Tatsächlich! Er spürte einen schwachen Puls.
Kniend rutschte er um die Frau herum. Sein Atem stockte. Die ganze rechte Schädelhälfte war eine einzige, riesige, zerrissene, blutende Wunde. Haare, Hautfetzen, Knochensplitter. Schockiert erkannte er einen großen Hautlappen als die herabhängende Ohrmuschel.
Zitternd griff der Kommissar nach der dicken Kapuze und presste sie, so gut er konnte gegen die Wunde.
Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er endlich mit der anderen Hand sein Handy aus der Jackentasche gezogen und die ›110‹ gedrückt hatte.
»Lindt hier, schnell Notarzt nach Neuburgweier zur Fähre«, stammelte er keuchend ins Mikrofon. »Eine Frau, Schussverletzung am Kopf, auf dem Damm, ja, sie lebt noch, blutet ganz fürchterlich, schnell! – Und natürlich alle verfügbaren Kräfte, ringsum abriegeln, der Schütze ist flüchtig.«
›Hoffentlich! Hoffentlich ist der flüchtig‹ schoss es dem Kommissar durch den Kopf, denn selbst auf Knien gab er oben auf dem Hochwasserdamm immer noch ein deutlich sichtbares Ziel ab.
›Stabile Seitenlage‹ – ›Erste-Hilfe-Kurs‹. Vorsichtig drehte er Barbara Steinle und wischte ihr den Schnee etwas vom Gesicht, damit sie besser Luft bekam. Gott sei Dank, die Atmung funktionierte noch. Stoßweise kondensierten kleine Wölkchen in der kalten Winternacht.
Die Kapuze verdeckte die Wunde fast ganz. Eine breite Blutbahn zog sich über die Wange nach vorne bis zur Nasenspitze und tropfte von dort nach unten in den Schnee.
›Druckverband!‹
Entschlossen presste Lindt die Kapuze fest an den Kopf, zog seine Hand aber wie elektrisiert zurück. Ein Gefühl, wie wenn er einen Schwamm ausgedrückt hätte. Der Stoff hatte sich schon vollgesogen und der Kommissar spürte, wie es jetzt auch an seinem Handgelenk feucht und warm wurde.
›Lebenssaft!‹ Der pathetische Ausdruck schien auf einmal zu passen. Das Leben von Barbara Steinle tropfte hier in den Schnee und lief warm an der Innenseite seines Unterarms entlang.
War es richtig, auf die Wunde zu drücken? Konnten die Knochensplitter sich irgendwie nach innen spießen? Aber die Blutung hörte nicht auf. Lindt drückte wieder dagegen und diesmal zog er seine Hand nicht zurück.
Die Atmung der Frau wurde flacher, die Kondenswölkchen kleiner – oder bildete er sich das nur ein?
Der altgediente Kommissar bekam Angst, richtige scheußliche Angst. Wie ein Kloß saß sie plötzlich in seinem Hals. Was, wenn sie plötzlich aufhörte zu atmen?
In fünfunddreißig Dienstjahren hatte er jede Menge Tote gesehen. ›Leichen pflastern seinen Weg‹, war der etwas respektlose Titel von Jan Sternbergs flapsigem Gedicht zu Lindts Fünfzigstem gewesen. ›Der Tod ist sein Geschäft‹, hatte der junge Kollege damals gereimt und die ganze Gesellschaft zu dröhnendem Lachen gebracht, doch so hautnah wie jetzt war Lindt noch nie mit dem Sterben konfrontiert worden.
Viele schlimme Bilder hatten sich tief in seinem Inneren eingegraben, aber er war noch nie direkt dabei gewesen, wenn ein Mensch starb. Die Objekte seiner Ermittlungen waren bisher immer schon tot gewesen, meistens sogar bereits richtig kalt.
Aber hier, die junge Frau, nein, sie durfte einfach nicht sterben!
Er tastete wieder an ihren Hals. Wo war denn nur der Puls? Nicht zu finden! Verzweifelt fühlte Lindt weiter.
Endlich spürte er ein leises
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