Hades - Die Welt der Verbannten
in Wirklichkeit konnte es keine Objektivität geben. Jeder urteilte subjektiv, ob er wollte oder nicht.
Carter liebte Kim, daran konnte er nichts ändern.
Die Frage war nur: Liebte Kim ihn auch, oder hatte sie ihn durchschaut und wollte ihn mit der ältesten und wirksamsten aller Waffen unschädlich machen?
Er fand keine Antwort auf seine Frage und beschäftigte sich wieder mit seinem Bericht. Die Einweihung des Bahnhofs in New-Bristol war vom Bürgermeister der Stadt und dem Verkehrsexperten der Regierung vorgenommen worden. Dann hatte die erste Fahrt begonnen. Sie führte ein Stück am Meer entlang, aber dann bog die gegossene Schiene nach Norden ab. Die Strecke stieg ständig und überquerte das Gebirge durch einen Paß. Auf der anderen Seite lag Rock-City, mitten in einer Hochebene. Von den Bergen her wehte ständig ein erfrischender Wind, und es regnete mehr als in anderen Gegenden.
Später, im Bett, dachte Carter wieder über Kim nach. Und über die merkwürdigen Zusammenhänge, die sich nun ergaben.
Ron Barker war mit Ron Barker identisch.
Ron Barker war der ehemalige Sekretär von Jon Block. Jon Block war Kims Vater.
Und Kim war nun seine, Rog Carters Frau.
Da war noch etwas, was Carter störte: Kim hatte gestern, als sie wieder in ihrer Wohnung waren, nicht zugegeben, daß sie Ron Barker kannte. Mit keinem Wort hatte sie auch nur angedeutet, daß sie den Sekretär ihres Vaters wiedererkannte. Vielleicht kannte sie ihn ja wirklich nicht, aber das war sehr unwahrscheinlich. Immerhin war Kim damals fünfzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen.
Hatte sie ein so schlechtes Personengedächtnis? Oder wollte sie etwas vor ihm, Carter, verheimlichen? Er drehte sich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Sein Zug ging erst morgen mittag.
Zum Kaffee würde er wieder bei Kim sein.
*
Schon als er den Zug bestieg, wurde er das komische Gefühl nicht mehr los. Aufregungen schlugen sich bei ihm immer auf den Magen, aber er hatte eigentlich keinen Grund, jetzt aufgeregt zu sein. Sein Bericht war fertig und tadellos gelungen. Sidler würde seine helle Freude daran haben.
Und doch wurde Carter immer unruhiger, je mehr sich der Zug New-Bristol näherte. Am liebsten hätte er von der Funkstation angerufen, aber er wagte es nicht. Schon der geringste Verdacht, der auf ihn fiel, konnte sich verhängnisvoll auswirken. Er würde nicht der erste sein, der spurlos verschwand.
Und dann wußte er es. Er hatte Angst vor der Begegnung mit Kim, weil er nicht mehr wußte, was er von ihr halten sollte. Sie hatte ihn offensichtlich belogen, oder zumindest verheimlichte sie ihm etwas – nämlich, daß sie Ron Barker kannte.
Heute würde er sie fragen, ganz gleich, was daraus entstand. Er mußte Vertrauen zu ihr haben, und sie zu ihm. Sie war seine Frau, und das nicht nur dem Gesetz nach. Sie war es wirklich.
Als der Zug hielt, wurde er von einer großen Menschenmenge erwartet. Es gab viele, die nach Rock-City wollten, um dort einen kurzen Urlaub zu verbringen. Die fertiggestellte Bahn bot dazu die beste Gelegenheit.
Carter verließ den Bahnhof und eilte zur Redaktion, um seinen Bericht abzugeben. Sidler erstattete ihm das ausgegebene Geld zurück und bat ihn, morgen abend einen Bericht über Rock-City abzuliefern.
Carter atmete auf, als er auf dem Transportband stand, das ihn zu seiner Wohnung brachte. Es war warm, und die Sonne stand noch hoch am Himmel.
*
Kims Wagen stand vor dem Haus. Demnach war sie heute unterwegs gewesen, denn es war nicht ihre Art, den Wagen über Nacht auf der Straße stehen zu lassen. Jedenfalls mußte sie jetzt zu Hause sein. Sicher wartete sie auf ihn, denn sie wußte ja, wann er zurückkam.
Die Wohnungstür war verschlossen. Er öffnete sie mit seinem Schlüssel und zog sie dann hinter sich zu. Er tat es sehr leise, um Kim zu überraschen, aber in der Wohnung rührte sich nichts. Vielleicht hatte sich Kim ein wenig hingelegt und war eingeschlafen.
Sie war nicht im Wohnzimmer, nicht in der Küche und auch nicht im Schlafzimmer. Sie war überhaupt nicht da. Die Wohnung war leer. Carter lächelte beruhigt, als ihm seine Nachbarn einfielen.
»Natürlich, sie wird drüben bei Schwarz sein«, murmelte er und lief über den Gang zu der anderen Wohnungstür.
Aber Kim war nicht bei Hans und Jenny Schwarz.
»Wir haben sie seit gestern abend nicht mehr gesehen«, sagte Jenny zögernd. »Als sie nicht zu uns kam, nahmen wir an, daß sie früh schlafen gegangen war. Vielleicht ist sie in
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