Hades - Die Welt der Verbannten
rechtfertigt der Zweck alle Mittel. Und wer Ron Barker ist, weiß niemand. Er war auf einmal hier, ging in den Regierungspalast – und eine Stunde später dankte der bisherige Präsident ab. Das war vor knapp fünf Jahren.«
»Und es gab keine Revolution, keinen Aufstand? Niemand wehrte sich gegen die Bevormundung?«
»Natürlich gab es Stimmen, die gegen Barker laut wurden, aber sie verstummten sehr schnell, als die Gerichte eingriffen und Todesurteile fällten. Als dann der wirtschaftliche Aufschwung begann, gab es überhaupt keinen Widerstand mehr. Das Leben wurde geregelter, und die Verbrechen nahmen ab.«
Jenny schenkte nach. Sie sagte, wohl um das Thema zu wechseln:
»Stellen Sie sich vor – das ist angeblich Wein von der Erde. Vor Jahren soll ihn ein privater Händler gebracht haben, der trotz des Verbots hier landete. Wird wohl eine Menge dabei verdient haben, denn unser Geld ist gutes Geld und überall gültig.«
»Der Wein ist gut«, gab Kim zu und trank. »Er könnte von der Erde kommen. Hier wächst ja wohl keiner.«
»O doch, es gibt Wein. Aber er ist schwer und süß.« Hans Schwarz sah auf die Uhr. »Gleich kommen der Wochenbericht und die Monatsansprache unseres ›geliebten Führers‹ Ron Barker. Wollen wir hören, was er zu sagen hat?«
Carter beugte sich vor.
»Ach, Barker spricht monatlich im Fernsehen? Ich hörte, er ließe sich nur selten in der Öffentlichkeit sehen? Danach muß er doch menschenscheu sein, oder irre ich mich da? Es gibt ja auch keine Bilder von ihm.«
»Warum sollte es auch? Barker ist gegen jeden Personenkult, und ich nehme an, er hat auch seine Gründe dafür. Aber warum sollte er sich scheuen, sein Gesicht zu zeigen? Sie werden es gleich sehen. Die Sendung muß schon angefangen haben.« Schwarz schaltete das Gerät ein. »Ich halte zwar nichts von den Methoden der Regierung, aber um sie kennenzulernen, muß man sie studieren.«
Der Wochenbericht wurde von einem Mann kommentiert, der Carter völlig unbekannt war. Dazwischen gab es Filmreportagen aus den verschiedenen Städten des Kontinents, und dann wurde die Sendung von Ron Barker angekündigt.
Carter wartete gespannt, und es bereitete ihm Mühe, seine innere Erregung zu verbergen. Jetzt gleich würde sich zeigen, ob die Namensgleichheit zwischen dem entflohenen Sträfling und dem Regierungsoberhaupt von Hades reiner Zufall war oder nicht. Es würde sich auch zeigen, ob Rog Carter das Opfer einer gemeinen Intrige geworden war oder ob der Verdacht gewisser Kreise sich bewahrheitete.
Die nächsten Sekunden entschieden darüber, ob Carter zu Recht oder zu Unrecht ein lebenslanger Sträfling geworden war.
Der Bildschirm wurde hell. Das Gesicht eines Mannes in mittlerem Alter erschien darauf und sah genau in die Kamera. Die Augen verrieten Energie und Selbstbewußtsein und eine ungemeine Härte und Entschlossenheit. Es war ein Gesicht, das tief beeindruckte – und Furcht einflößte.
Ron Barker trug eine schlichte Uniform ohne Rangabzeichen. Der Kragen war hochgeschlossen. Der Rock erweckte den Eindruck absoluter Korrektheit, aber davon ließ Carter sich nicht täuschen. Die größten Diktatoren der Menschheit hatten immer äußerst korrekt ausgesehen.
Bevor Carter die Erde verließ, hatte er ein Foto des entflohenen Sträflings Ron Barker gesehen. Er hatte sich das Gesicht eingeprägt und war sicher, es nie mehr in seinem Leben vergessen zu können.
Denn es war ein sehr markantes und eindrucksvolles Gesicht gewesen. Es war das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm.
*
Genau vierundzwanzig Stunden später saß Rog Carter in seinem Hotelzimmer in Rock-City und schrieb an seinem Bericht. Es war ein turbulenter Tag gewesen, und er vermißte die Geborgenheit seiner Wohnung in New-Bristol. Und vor allem vermißte er Kim.
Kim!
Er schob den angefangenen Bericht zur Seite und lehnte sich in den Sessel zurück. Was eigentlich bedeutete ihm Kim? Der Zufall hatte ihn mit ihr zusammengeführt. Sie war seine Frau geworden, nach den Gesetzen von Hades. Aber es waren nicht nur die Gesetze gewesen, das wußte er heute mit ziemlicher Gewißheit. Schließlich hatte sie ihn gewählt, nicht umgekehrt.
Ob er nun wollte oder nicht, Carter mußte zugeben, daß Kim ihm gefiel. Und genau das war es, was ihn so beunruhigte. In seiner Mission war kein Platz für Liebe. Gefühle beeinflußten das objektive Urteilsvermögen, und hier kam es gerade auf Objektivität an. Oder auf das, was man als Objektivität bezeichnete. Denn
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