Hades
hingen weiter unseren Erinnerungen nach.
Ich hoffte, dass mein letzter Gedanke, bevor ich das Bewusstsein verlor, Xavier gehören würde. Ich versuchte mir für ihn ein Leben wie aus dem Märchenbuch zusammenzuspinnen, mit einer wunderschönen Frau und fünf Kindern. Phantom lebte bei ihnen, und das Haus war mit Musik und Gelächter erfüllt. Am Samstag trainierte Xavier Jugendliche im Wasserball. Ab und zu dachte er an mich, meist wenn er allein war. Aber ich war nicht mehr als eine schwache Erinnerung, eine Highschool-Liebe, die ihre Spuren in seinem Herzen hinterlassen hatte, aber nie dafür bestimmt gewesen war, Teil seiner Zukunft zu werden.
«Du denkst an ihn, oder?» Jakes Stimme zerschnitt meine Träumereien wie ein Messer. «Ehrlich gesagt kann ich dir das nicht mal verübeln. Er hätte sicher nie etwas so Dämliches gemacht – er hat dich wenigstens beschützt. Du verachtest mich jetzt sicher noch mehr als je zuvor.»
«Ich möchte der Wut in meinen letzten Stunden keinen Platz einräumen, Jake», sagte ich. «Was geschehen ist, ist geschehen – es bringt nichts mehr, dir Vorwürfe zu machen.»
«Ich lasse mir etwas einfallen, Bethany, das verspreche ich dir», sagte er ernst. «Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas tun.»
Unglaublich, wie vehement er sich immer noch weigerte, die Tatsachen zu akzeptieren!
«Ich weiß, dass gewöhnlich alle nach deiner Pfeife tanzen», sagte ich. «Aber auch du kannst nichts mehr tun.»
«Wir könnten weglaufen», murmelte Jake. Er sprach hastig, als ob er im Kopf verzweifelt nach einer Lösung suchte. «Aber die Ausgänge hier sind alle überwacht. Und auch wenn wir es schaffen, die Wachen zu überlisten, würden wir nicht weit kommen. Vielleicht könnte ich einen von ihnen bestechen, uns in die Einöde zu lassen …»
Ich hörte ihm gar nicht richtig zu. Ich wollte seine weit hergeholten Ideen nicht hören und wünschte mir einfach nur, dass er einen Moment schwieg.
«Wir haben noch Zeit, bis der Tag anbricht», fuhr Jake fort. Er sprach jetzt hauptsächlich zu sich selbst. «Mir fällt schon etwas ein.»
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23
Hinrichtung
Der Tag in Hades brach an, und weder Jake noch ich waren bereit dafür. Stimmen im Flur durchbrachen die Stille und rissen uns beide aus unserem tranceähnlichen Zustand. Ich war überrascht, dass ich die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. Stattdessen hatte ich wie versteinert unter der Decke gekauert, die Knie bis zum Kinn angezogen. Jake sprang vom Sofa und starrte mit wildem Blick zur Tür.
«Sie sind da», verkündete er düster.
Die Tür öffnete sich, und Diego, Asia und verschiedene andere Dämonen, die mir vage bekannt vorkamen, traten ein, begleitet von vier Bodyguards.
«Seid ihr sicher, dass die Wachen reichen?», knurrte Jake. Seine dunklen Augen blitzten vor Wut.
«Opa Luzi fürchtet, dass du dich wehrst.» Diego schenkte ihm ein schiefes Grinsen und nickte mit dem Kopf in meine Richtung. «Packt sie.»
Die Bodyguards walzten in den Raum, dann schlossen sich ihre Hände um meine Unterarme und hoben mich wie eine Puppe aus dem Bett – barfuß und im Nachthemd. Ich strauchelte, als sie meine Füße mit einem Seil zusammenbanden und mich kurzerhand durch den Raum zerrten.
«Seid nicht so grob mit ihr!» Jake machte einen Schritt auf mich zu. Sofort sprangen die anderen Dämonen dazwischen und trennten ihn von mir. Es war beängstigend, wie schnell seine Brüder und Schwestern sich gegen ihn gewandt hatten. In dem ganzen Chaos verlor ich ihn aus dem Blick, und alles, was ich hörte, war ein Chor aus boshaftem Zischen und Fauchen. Jetzt überkam mich endlich doch die Angst, und ich begann am ganzen Körper zu zittern.
«Beth!», rief Jake mir mit verzweifelter Stimme nach. «Beth, ich werde das nicht zulassen!»
Aber ich glaubte ihm genauso wenig wie er sich selbst.
Die Wachen schubsten mich grob durch den Flur und in die Lobby. Alle anderen folgten uns. Als ich Asias Blick erhaschte, zwinkerte sie mir zu. In der Lobby tauchte plötzlich Tucker wie aus dem Nichts auf. Der gehetzte Blick in seinen Augen, sein verzweifelter Gesichtsausdruck sagten mir, dass er Bescheid wusste. Ich versuchte, ihn im Vorbeigehen nicht anzusehen, um es für ihn nicht noch schlimmer zu machen.
«Beth!», schrie er, als die Prozession an ihm vorbeilief. Er drängte sich nach vorn, durch die Dämonen hindurch, um näher bei mir zu sein. Nash schnippte mit den Fingern, und mit einem abscheulichen Krachen gaben
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