Hades
sie, presste leicht seine Finger an ihren Hals und suchte ihren Puls.
«Das ist nicht gut», sagte er und sah Ivy an.
Meine Schwester hastete zu ihm und begann ebenfalls, Schwester Mary Clare zu behandeln. Während Gabriel die körperlichen Wunden linderte, ging Ivy tiefer, versuchte ihre Seele zu erreichen, zu heilen und wieder mit Gott zu vereinigen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, in welchem Zustand diese Seele sein musste, nachdem sie monatelang von einem Dämon besessen gewesen war. Wahrscheinlich war sie bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Wenn der Nonne jetzt irgendjemand helfen konnte, dann war es ein Seraph. Ich beobachtete, wie Gabriel ihre Wangen berührte und die Kratzer und Schwellungen zu verschwinden begannen. Mit den Fingern tastete er ihre Lippen ab, die plötzlich wieder ganz waren. Schwester Faith, die eilig ein feuchtes Tuch geholt hatte, wischte behutsam das getrocknete Blut um Mund und Kinn ab. Als Gabriel seine Hände wegnahm, sah ich, dass auch die Zähne der jungen Schwester wieder ganz waren. Er hatte sämtliche körperlichen Schäden bereinigt. Doch obwohl ihr Körper wieder vollkommen heil war, hob sich ihre Brust nicht. Ivy war noch immer mit geschlossenen Augen über sie gebeugt. Ihr Körper zitterte vor Anstrengung, und Gabriel legte ihr seine Hände auf die Schulter, um ihr Halt zu geben. Sogar für einen Engel, der so stark war wie Ivy, war es sehr anstrengend, eine Seele vom Rande des Todes zurückzuholen, und wie ich die Dinge sah, war es bei Schwester Mary Clare wirklich sehr knapp. Wenn eine Seele erst einmal vom Tod gepackt worden war, war es so gut wie unmöglich, sie noch zu retten. Die Seele gehörte ihm, bis entweder Himmel oder Hölle sie einforderten. Wenn keiner sie wollte, wurde sie für immer in die Vorhölle geworfen wie Abfall.
Ich wusste, dass Ivy in den Tunnel zu Schwester Mary Clares Unterbewusststein hinabsteigen und sie überreden musste zurückzukehren, bevor sie für immer verloren war. Ich stellte mir ihren Geist wie ein Knäuel aus wimmelndem Ungeziefer vor, befallen von dem Bösen, das ihren Körper so lange belagert hatte. Der Tod war nahe, jeder konnte das sehen. Wahrscheinlich schwankte sie, war nicht bereit, zu dem Leben voll Leid zurückzukehren, an das sie sich erinnerte. Der Tunnel des Todes zieht die Lebenskräfte aus den Menschen, damit man nachgibt, kapituliert. Natürlich konnte die Finsternis meiner Schwester nichts antun, aber sie konnte ihre Stärke schwächen. In Schwester Mary Clares infiziertem Geist zu sein, würde Tribut zollen.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ Ivy die Hand der Nonne los und sah zu, wie sie blinzelte und die Augen öffnete. Sofort holte sie tief und keuchend Luft, wie jemand, der zu lange unter Wasser gewesen war.
«Dem Herrn sei Dank!», rief Schwester Faith. «Gott segne Sie!» Sie umarmte die junge Frau, die versuchte sich aufzusetzen und sich verwirrt umsah. Jetzt konnte ich sie genauer betrachten. Wie jung sie war – höchstens Anfang zwanzig. Sie hatte ein offenes Gesicht und Sommersprossen auf der Nase.
«Was … was ist geschehen?», stammelte sie. Sie betastete ihr verknotetes, blutgetränktes Haar. Schwester Faith starrte sie mit offenem Mund an.
«Sie kann sich an nichts erinnern!»
«Sie steht unter Schock», antwortete Gabriel. «In den nächsten Tagen wird ihr einiges wieder in den Sinn kommen und ihr Albträume verursachen. Sie wird Ihre Unterstützung nötig haben.»
«Natürlich.» Schwester Faith nickte heftig. «Sie bekommt alles, was sie braucht.»
«Jetzt im Moment braucht sie eine Dusche», sagte mein Bruder. «Und dann sollte sie sofort ins Bett gehen.» Er ließ den Blick durch das ramponierte Zimmer schweifen. «Kann sie irgendwo bleiben, solange hier aufgeräumt wird?»
«Ja, natürlich», murmelte Schwester Faith. «Adele soll ihr ein Bett richten.» Sie sah Gabriel und Ivy an. «Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll», sagte sie unter Tränen. «Ich dachte, wir hätten sie für immer verloren, aber Sie haben uns unsere Schwester zurückgegeben und unseren Glauben gefestigt, was ich in meinem Leben nicht mehr erwartet hatte. Ihnen gebührt unser unendlicher Dank.»
Gabriel lächelte nur. «Es war uns ein Vergnügen», sagte er schlicht. «Und jetzt kümmern Sie sich um die Schwester. Wir finden selbst hinaus.»
Schwester Faith sah meine Geschwister noch ein letztes Mal hingerissen an, bevor sie Mary Clare eilig aus dem Zimmer führte. Ich hörte, wie sie im Haus
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